Mehr Mut zur Demokratie

taz nrw vor Ort: Wie viel Sinn oder Unsinn steckt in direkter Bürgerbeteiligung? taz-LeserInnen und ExpertInnendiskutieren in Bonn über Informationsvermittlung, die Angst vor Demokratie und mangelnde Transparenz in NRWs Kommunen

VON HENK RAIJER

Direkte Demokratie ist nicht nur Verheißung, sondern auch Bürde. Bürgerbeteiligung birgt nicht nur eine optimale Möglichkeit, unmittelbarer in das politische Geschehen einzugreifen, sondern auch die Selbstverpflichtung, nicht „wegen jeder Lapalie“ dem Rat der Stadt einen Bürgerentscheid abzutrotzen. Allzu schnell könnten lokale „Querulanten“ mit dem Instrument des Bürgerbegehrens ihre durchaus nicht immer hehren Partikularinteressen durchsetzen, sozusagen eine „Partikularinteressendiktatur errichten“. Zu diesem Ergebnis kamen in dieser Woche im Rheinischen Landesmuseum Bonn die Teilnehmer der taz nrw-Podiumsdiskussion „Alle Macht dem Volk? Kommunale Bürgerbeteiligung in NRW“.

Doch es gab auch Dissens. Zum Beispiel über Sinn und Unsinn verschiedener Hürden, die der Gesetzgeber für direktdemokratische Instrumente auf der kommunalen Ebene in Nordrhein-Westfalen festgelegt hat. Umstritten war zum Beispiel, ob ein so genanntes Zustimmungsquorum bei Bürgerentscheiden überhaupt nötig ist. Bei den Entscheiden müssen mindestens 20 Prozent der Wahlberechtigten mit „ja“ stimmen, damit das Votum gültig ist.

Während Daniel Schily vom Verein „Mehr Demokratie“ jedwede Hürde für eine ständige direkte Einflussnahme der Bürger ablehnte und spöttelte, die Deutschen hätten „traditionell Angst vor zu viel Demokratie“, hielt Johanna Holch von der Freien Wählergemeinschaft „Bürger Bund Bonn“ die Auflage für geboten. Auch Michael Becker vom Städte- und Gemeindebund NRW befürwortete grundsätzlich Instrumente, mit denen der Bürger ihm nicht genehme Ratsvorhaben stoppen oder eigene auf den Weg bringen könne. Dennoch dürfe es nicht sein, dass solche Quoren „bei Bedarf“ gesenkt würden. Außerdem würden bestehende Mitwirkungsmöglichkeiten noch zu wenig genutzt.

Die Bonner Ratsherrin Johanna Holch (Bürgerbund Bonn) brach an dieser Stelle eine Lanze für die parlamentarische Demokratie. „Man muss, auch wenn man mit einzelnen Entscheidungen im Rat nicht einverstanden ist, ja nicht gleich das ganze System in Frage stellen“, sagte sie. „Wenn ich sehe, wie sich die Leute als sachkundige Bürger in den kommunalen Ausschüssen engagieren, weiß ich, dass man auch auf diesem Wege etwas erreicht.“

„Ab und zu ein Amtsblättchen lesen, gehört dazu – auch die Lokalzeitung informiert regelmäßig. Dann gibt es Infoveranstaltungen, Einwohnerfragestunden und den Beschwerdeausschuss“, kritisierte auch Becker eine ausschließliche Fixierung auf plebiszitäre Elemente. „Man muss sich auch mal informell mit politischen Entscheidern zusammensetzen, etwa in Planungsrunden oder an Runden Tischen und sagen: ,Können wir uns nicht mal unterhalten'. Oft lässt sich da durch simple Anregungen etwas erreichen oder verhindern.“ Zustimmung erntete Becker von einem Diskussionsteilnehmer aus dem Publikum, der sagte, die Bürger wählten immerhin in der Mehrzahl Vertreter ihres Vertrauens in die Gremien.

Thomas Santillán von der BI gegen Cross Border Leasing Bergisch Gladbach hat da nicht so viel Vertrauen. „In einigen kommunalen Fragen, etwa den städtischen Haushalt betreffend, sind Ratsmitglieder zur Verschwiegenheit verpflichtet. Die relevanten Sachen werden unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt“, monierte er die gängige Praxis in den NRW-Kommunen. „Da ist ein Bürgerbegehren oft das einzige Instrument, Einfluss zu nehmen. Und so genannte Querulanten sind in dem Moment keine Querulanten mehr, wenn es ihnen gelingt, Leute für eine Sache zu mobilisieren.“ Einig waren sich alle, dass es in den Städten und Gemeinden NRWs an Transparenz mangelt. „Abstimmungshefte“, mit denen jüngst die Bürger von Mülheim an der Ruhr vor einem Plebiszit seitens der Stadt über das Pro und Contra einer Privatisierung von kommunalen Einrichtungen informiert wurden, könnten dazu beitragen. Michael Becker erklärte, dass solche Informationen inzwischen obligatorisch zugestellt werden, obwohl dies aufwändig und kostenintensiv sei.

Eine Teilnehmerin aus dem Publikum schüttelte den Kopf über die Abstimmungsheftchen: „Ich brauche keine Heftchen im Briefkasten. Es steht doch in der Zeitung, ich kann in den Rat gehen und mich einer Initiative anschließen, so wie wir es bei den Plänen für den Bonner Bahnhofsvorplatz gemacht haben. Da konnten wir doch mitbestimmen.“ An der Stelle gaben Daniel Schily und Thomas Santillán jedoch zu bedenken, dass bei einigen Bürgerbegehren eine stille Koalition aus Ratsparteien und Lokalpresse die Anliegen der Bürger totschwiegen. In solchen Fällen seien Abstimmungsheftchen unerlässlich für die Meinungsbildung.

Daniel Schily, dessen Verein „Mehr Demokratie“ sich für Plebiszite auf allen Ebenen einsetzt, ermunterte zum Schluss zu mehr Mut. Er stellte fest, dass „wir in Deutschland dazu neigen, uns solche Beteiligungsverfahren zu normativ vorzustellen“. Er plädierte dafür, doch einfach mal die soziale Empirie walten zu lassen und zu gucken, welche konkreten Erfahrungen etwa die Schweiz mit Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden gemacht habe, „auch die negativen“.