Der Polizist als Jagdgehilfe

Immer häufiger ballert die Polizei. Doch nicht auf flüchtige Kriminelle – sondern auf Tiere. Im Jahr 2004 schossen die Beamten laut aktueller Statistik fast 6.000-mal mit ihrer Dienstwaffe. Warum nur trifft es immer mehr Vierbeiner?

VON KAI BIERMANN

Menschen erlegen deutsche Polizisten nicht sehr oft, wenn sie ihre Schusswaffen einsetzen. Im internationalen Vergleich sind sie dabei geradezu vorbildlich. Auch schwankt die Zahl der Getöteten seit Jahren kaum, trotz steigender Gewaltkriminalität. Selbst Warnschüsse sind deswegen nicht häufiger nötig. Tiere allerdings fallen der deutschen Polizei in rauen Mengen zum Opfer. Jedes Jahr einige Hundert mehr und das stetig, seit diese Statistik geführt wird, seit 1976.

Vor zehn Jahren zum Beispiel kam es 1.899-mal zum, wie es Amtsdeutsch heißt, „Schusswaffengebrauch zum Töten gefährlicher, kranker oder verletzter Tiere“. Im Jahre 1999 brachten die Beamten schon 3.240 Vierbeiner zur Strecke, im vergangenen Jahr bereits 5.769, wie die Innenministerkonferenz mitteilte.

Alle naselang, könnte man vermuten, ballern Polizisten auf geifernde Kampfhunde. Irrtum, versichert das Innenministerium von Baden-Würtemberg, das in diesem Jahr die Innenministerkonferenz leitet und somit auch die Statistik veröffentlichte. Auch wenn es immer mal wieder Medienberichte von Polizisten gibt, die bissige Köter niederschießen, um Kinderleben zu retten – im Polizeialltag sind das laut Ministeriumssprecher Rüdiger Schroth „absolute Einzelfälle“. Da käme es schon eher mal vor, dass Schafe getötet werden müssten, die bei einem Stallbrand schwer verletzt wurden. Eigentlich Schuld an der wachsenden Jagdstrecke sei jedoch der Verkehr. „Die meisten Schüsse werden auf angefahrene Wildtiere abgegeben“, sagte Schroth der taz. Immer mehr Autos seien unterwegs und führen immer häufiger auf Strecken, die früher kaum benutzt wurden. Außerdem gebe es immer mehr Wild in deutschen Wäldern.

Eine Ursache ist aber wohl auch das Mitleid der Beamten. Statt nächtens stundenlang auf verschlafene Jäger zu warten, schießen sie lieber selbst, um wie Schroth sagte, „dem Leid ein Ende zu machen“.

Rechtlich dürfen Polizisten das, doch ausgebildet sind sie dafür nicht. Im Einsatztraining werde lediglich „darauf hingewiesen, wo der Fangschuss anzusetzen ist“. Wirklich zur Jagd geeignet sind Polizeipistolen und die darin verwendete Munition auch nicht. Die Geschosse sind zu durchschlagskräftig, durch „weiche Ziele“ gehen sie einfach hindurch. Mit einer Polizeipistole einen angefahrenen Hirsch „waidgerecht“ und schnell zu erlegen, ist nicht so einfach. In Baden-Württemberg habe man daher für die verwendeten G-3-Gewehre extra Jagdmunition angeschafft, so Schroth.

Allerdings kommt die eher bei einem anderen Szenario zum Einsatz: bei Ausbrechern. Nicht nur Menschen fliehen aus dem Knast, auch Tiere sind nicht gern eingesperrt. Immer wieder käme es vor, so der Sprecher des Innenministeriums, dass zum Beispiel Rinder aus Ställen oder Schlachthöfen flöhen. Die gemeine Dienstpistole jedoch ist bei einem rasenden Bullen nicht sehr hilfreich, weshalb die Beamten gehalten seien, auf Unterstützung zu warten: „Bei einem wild gewordenen Rind wird ein Gewehr zugeführt.“

Die Sprecherin des Deutschen Jagdschutzverbands (DJV) hat noch eine andere Erklärung für die steigende Zahl erlegter Tiere. „Unterschätzen Sie nicht das Konfliktpotenzial in Großstädten“, sagte Anke Nuy der taz. Sie meinte damit nicht die Konflikte mit Kriminellen, sondern die zunehmenden Zusammenstöße mit Wildtieren. Wildschweine beispielsweise würden immer weiter in die Städte vordringen und inzwischen sogar in „Kernzonen“, das heißt im Einzelfall in Geschäften in der Fußgängerzone nach Futter suchen. „Da schießt die Polizei auch“, sagte Nuy.