Die Papa-Lügen

Die Diskussion um Babyflaute und Kinderfeindlichkeit deutscher Männer verstärkt eine Reihe von Klischees, die aktuelle Studien nur selten bestätigen

VON COSIMA SCHMITT

Eine Studie jagt die andere. Forscher präsentieren Ergebnisse zu Kinderwünschen, Partnerwahl und Lebensplanung. Kernpunkt der Diskussion ist die Babyflaute im Land: Warum bloß kriegen die Deutschen so wenig Kinder? Für den Noch-nicht-Vater sind die Zeiten verwirrend. Welche Annahmen bestätigen die Studien? Welche Lügen entlarven sie? Ein Überblick.

„Deutsche Männer und Frauen sind egoistisch und karriereversessen“

Die Zahlen sind kaum publik, schon scheint der Übeltäter erkannt. 26,3 Prozent der Männer und 14,6 Prozent der Frauen möchten gar kein Kind, hat letzte Woche das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung verkündet. Der Wertewandel ist schuld, heißt es seither in Politiker- wie Kirchenkreisen. Nur: In der Studie steht gar nichts drin von veränderten Idealen. Im Gegenteil. Die Familie findet sich wie ehedem ganz oben auf der Werteskala, so lautet das Ergebnis. Nichts ist den Deutschen so wichtig wie „mit seinem Partner in Harmonie zusammenleben“ und „seinen Kindern Liebe widmen“. Karriere machen, sich selbst verwirklichen, das dümpelt auf den Schlussrängen. Selbst unter den Unwilligen gibt jeder Zweite zu: Gäbe es mehr Teilzeitjobs, Kinderbetreuung und flexiblere Arbeitszeiten – ich würde mir das mit dem Baby nochmal überlegen. Der Möchtegern-Vater braucht also nicht zu bangen, dass seine Job-Ambitionen seine Babypläne stören, jedenfalls nicht, wenn er nach den Einschätzungen der Mehrheit geht. Er muss auch nicht nach jener einen von 20 Frauen fahnden, die am liebsten allein Hausfrau und Mutter wäre. Schwer hat es nur, wer von einer Drei-Kinder-Schar träumt, denn das tun zumindest im Westen mehr Männer als Frauen. Ansonsten gilt: Der Westmann möchte zwei Kinder oder gar keins, der Ostmann ist da flexibler. Statistisch gesehen hat also nicht der Mann ein Problem. Sondern die Frau, die einen Babyverweigerer aus dem Westen liebt.

„Bildung ist der schlimmste Feind des Kinderkriegens“

Längst ist es ein Standardargument in den Kinder-Debatten. Studierte Frauen erreichen viel – nur Mutter werden sie selten. Zwar sind wohl nicht 40 Prozent der Akademikerinnen kinderlos, wie oft gesagt wird, fußt die Angabe doch auf alten Zählmodi, die annehmen: Jenseits der 39 wird eine Frau nicht mehr Mutter. Der Trend aber ist unbestritten. Je gebildeter die Frau, desto häufiger bleibt sie kinderlos. Sollte der zeugungswillige Mann also Akademikerinnen meiden? Das wäre falsch. Dass sich die studierte Frau seltener ein Kind wünscht als die Verkäuferin oder Arbeiterin, ist durch keine Umfrage belegt. Nur, dass es häufiger beim Wünschen bleibt. Als ein Hauptschuldiger gilt das „Drei-Phasen-Modell“ – der deutsche Hang zum Nacheinander. So lautet zumindest die Quintessenz einer aktuellen Allensbach-Studie. Erst Ausbildung, dann einige Berufsjahre, danach ein Kind, das ist das gängige Ideal. Die Folge: Gerade noch fünf bis zehn Jahre bleiben fürs Großprojekt Baby. Glücklich, wer dann gerade einen Partner an seiner Seite weiß.

Zumal die studierte Deutsche ihren Mann sorgsam wählt. Nur jede zehnte ist bereit, auch einen Nichtakademiker zu ehelichen. Will Mann ganz sicher gehen, sollte er eine Ostdeutsche umwerben. Von ihnen kann sich nur jede Zwanzigste vorstellen, kein Kind zu gebären. Übrigens: Selbst wenn ein Mann an der Uni nicht die Mutter seiner Kinder findet – studieren sollte er schon. Denn das rentiert sich. Zwar sind Nichtakademiker zunächst erfolgreicher in Sachen Nachwuchs. Aber nur, bis sie 35 Jahre alt sind. Dann zieht der Studierte an ihnen vorbei, ergibt die Studie „männer leben“ der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung: Es gibt weniger kinderlose Akademiker als Nichtakademiker. Noch folgenreicher als ein Uni-Abschluss ist der Kontoauszug. Wer über 2.500 Euro netto verdient, hat weit öfter als andere auch Frau und Kind.

„Ein Mann kann in jedem Alter Vater werden“

Diese Aussage hält sich zäh, trotz allen Statistikwissens: die Alterslüge. Der Mann wähnt sich gefeit vor der Baby-Uhr, die in der Mittdreißigerin tickt. Dabei lehrt die Realität anderes. Medizinisch gesehen spricht einiges gegen den Greis im Kreißsaal – etwa das höhere Risiko, ein krankes Kind zu zeugen.

Wichtiger noch ist die Kluft zwischen Theorie und Praxis. Natürlich könnte auch der Senior ein Kind zeugen. Nur tut er es selten. Sowohl die Allensbach- als auch die „männer leben“-Studie belegen: Jenseits der 35 verlässt Mann wie Frau der Wille zum Kind. Fehlt es am Mut? Hat man sich arrangiert in der Zweisamkeit? Noch ist das kaum erforscht, belegt ist nur: Fragt man Studierende, wollen neun von zehn später mal ein Kind. Unter Mittdreißigern ist die Quote viel niedriger.

Doch selbst wer Nachwuchs will – jenseits der vierzig scheitert’s am Können. Der Greis und die junge Schöne, im wahren Leben ist das eine Rarität, weiß die „männer leben“-Studie. Nur einer von 25 Männern ist zehn oder mehr Jahre älter als seine Partnerin. Selbst der Senior freit meist unter seinesgleichen. Im Schnitt ist der Mann um die fünfzig mit eine Frau verbandelt, die gerade einmal 2,8 Jahre jünger ist. Wer also Vaterwünsche hegt, sollte den Aufschiebplan begraben. Der Babyboom nach der Midlife Crisis – er ist eine Männerfantasie.

Zum Nachlesen: www.maennerleben.dewww.bib-demographie.de („Einstellungen zu demographischen Trends“)www.bmfsfj.de („Das subjektive Zeitfenster für die Elternschaft“)