Ihr himmlischen Wonnen

Überall ist es besser, wo wir nicht sind. Vor allem aber im Paradies: Die Religionen der Welt übertreffen einander in der Glorifizierung des Jenseits. Diese Wunschvorstellungen, die von einem schwierigen Diesseits erzählen, gehören seit jeher zum Inventar der Menschheit

VON MARTIN REICHERT

Wenn man stirbt, geht das Licht aus – eine wenig Trost spendende Weisheit des gelernten Atheisten, der mit Religion „nichts am Hut hat“ – und dem es recht gleichgültig ist, ob an Pfingsten der heilige Geist über die Menschen kommt. Ist dann das Ende nah, hat einen der Tod womöglich kurz gestreift in Form einer Erkrankung oder eines Beinahe-Unfalls, keimt schließlich doch noch Hoffnung auf: Was, wenn es ein Leben nach dem Tod gäbe? Einen Garten der Lüste? Ein Paradies? Einen watteweichen Himmel für immer und ewig? Wenn es ernst wird und der Schmerz zu groß wird eben doch ganz gerne mal zum Opium fürs Volk gegriffen.

Die Jenseitsmythen der Menschheit – so der Titel eines im Patmos-Verlag erschienenen Bandes von Dietrich Steinwede und Dietmar Först – sind mannigfaltig und doch gleichen sie sich, unabhängig von der jeweiligen Religion oder Kultur. Es handelt sich um Träume, Wünsche von einem besseren Leben. Ohne Beschwernisse, ohne Krankheit, ohne Alter. Der Tod nicht als Ende des Ich sondern bloß Durchgang in ein anderes Dasein: In dieser Hoffnung sind sich alle Menschen gleich, auch darin, schlußendlich im Himmel und nicht in der Hölle zu landen. Ist es da nicht egal, welcher Religion man angehört? Und muß man sich ihretwegen die Köpfe einschlagen, mit denen man doch das gleiche träumt?

Über die exakte Beschaffenheit des Paradieses herrscht jedoch keine Einigkeit. Was den christlichen Glauben angeht, so zerbrechen sich Theologen bis heute die Köpfe darüber, ob das Paradies nur eine abstrakte Idee ist oder doch ein saftiger Garten, in dem Wolf und Lamm Hand in Hand miteinander spazieren gehen. Die islamischen Paradiesvorstellungen machten zuletzt eher negative Schlagzeilen, weil sie im Verdacht standen, Selbstmordattentäter auf den Plan zu rufen – und nun steht auch noch der Verdacht im Raum, die Hoffnungen auf im Jenseits wartende Huri auf womöglich auf einen Übersetzungsfehler zurückgehen.

Wem hingegen das buddhistische Nirvana bislang nicht attraktiv erschien – schließlich unterschiedet sich das große Nichts nicht wesentlich vom „Licht aus“ des Atheisten – hat nur noch nichts vom „Großen Westlichen Paradies“ gehört. Diese Vorstufe des Nirvana übertrifft in seiner Pracht alles anderweitig überlieferte.

Bescheiden hingegen nehmen sich die berühmten „Ewigen Jagdgründe“ der Lenape-Indianer aus, ein recht irdisch anmutendes Paradies, wenn auch mit weniger Widrigkeiten ausgestattet. Allerdings ist es ja auch nicht jedermanns Sache, permanent mit „Hosianna“ und „Heil“-Rufen beschallt zu werden. Auch die Gegenwart duftender Juwelenbäume und permanent liebesbereiter Jungfrauen kann längerfristig belastend sein.

Dann doch lieber das Paradies auf Erden? Einen japanischen Ziergarten anlegen, sich mit schönen Einrichtungsgegenständen aus dem Möbelparadies Sturzfluten der Wonne bereiten, den Kommunismus aufbauen? „This could be heaven for everyone“ sang einst Freddy Mercury, der zu Lebzeiten in dem Bewußtsein lebte, ein gefallener (homosexueller) Engel zu sein. Und die Träume der Menschheit zeigen, was auf Erden alles schief läuft und worunter wir leiden. Wer will, kann sie als eine Handlungsanleitung für das Hier und Jetzt begreifen: Reine Luft und reines Wasser für unsere grüne Erde, freie Sexualität für die Muslime, Ruhe und Ausgeglichenheit für die Buddhisten, Frieden für die Juden, eine nachhaltige Existenz für die indigenen Völker dieser Erde.

Es lohnt sich, daran zu arbeiten. Denn wer weiß schon, ob nicht am Ende doch bloß das Licht ausgeht.