Englands fette Jahre sind vorbei

Noch einmal hat Tony Blair die Wahl gewonnen – wegen der Wirtschaft. Doch nun scheint der Aufschwung zu Ende: Das Defizit steigt, die Immobilienblase droht zu platzen

DUBLIN taz ■ Die Wirtschaft war stärker als der Irak. Obwohl der britische Premierminister Tony Blair aufgrund der Lügen, mit denen er das Land auf den Irakkrieg eingestimmt hat, bei der Mehrheit der Wähler das Vertrauen verspielt hat, haben sie ihn wiedergewählt, weil Großbritannien seit 13 Jahren stetiges Wachstum bei niedriger Arbeitslosigkeit und Inflation genießt.

Der ökonomische Aufschwung hatte bereits unter der letzten Tory-Regierung begonnen, und Labour setzte die Wirtschaftspolitik der Konservativen nahtlos fort. Das britische Bruttoinlandsprodukt ist inzwischen höher als das deutsche, französische oder italienische. Blair hat den richtigen Zeitpunkt für die Parlamentswahlen erwischt, glauben die meisten Wirtschaftsexperten. Er hätte noch ein Jahr warten können, doch dann hätte er die Wahlen verloren, meint der Economist, Großbritanniens Wirtschaftsbibel.

Das Blatt sieht bereits dunkle Wolken am Horizont aufsteigen. Die seit vier Jahren stetig steigenden Staatsausgaben und die sinkenden Steuereinnahmen haben dafür gesorgt, dass das Haushaltsdefizit in diesem Jahr bei 2,9 Prozent des Bruttosozialprodukts liegen wird. Im Jahr 2000 verzeichnete Großbritannien noch einen Überschuss von 1,6 Prozent.

„Die geplanten hohen Ausgaben im Gesundheitsbereich bis 2008 erfordern entweder drastische Kürzungen in anderen Bereichen oder eine beträchtliche Steuererhöhung“, prophezeit der Economist. „In beiden Fällen wird das negative Auswirkungen auf die Wirtschaft haben. Der Immobilienmarkt stagniert bereits seit Januar, und die Verbraucher haben auf die steigende Zinsrate mit größerer Sparsamkeit reagiert.“ Das Blatt erinnert daran, dass die Kauflust der Verbraucher zu 80 Prozent für den Boom verantwortlich war.

Auch für James Carrick, Wirtschaftsfachmann bei ABN Amro, sieht die Zukunft nicht rosig aus. „Die Arbeitslosigkeit und die Verschuldung der Haushalte werden steigen“, sagt er. Carrick glaubt, dass die Hauspreise bis Ende nächsten Jahres um 10 Prozent fallen und bis 2008 mehr als eine halbe Million Arbeitsplätze im Einzelhandel und in der Industrie verschwinden werden.

Es gibt erste Anzeichen: In diesem Jahr haben mehr Firmen Bankrott anmelden müssen als in den vergangenen 15 Jahren, und die Zahl der Häuser, die von den Banken wegen Zahlungsunfähigkeit der Eigentümer in Besitz genommen wurden, ist die höchste seit zehn Jahren. In London machen sich Veränderungen des wirtschaftlichen Klimas zuerst bemerkbar. Deshalb, so glauben viele Analysten, ist die Labour Party in der Hauptstadt und ihren Vororten am stärksten eingebrochen.

Der Verband der britischen Industrie hat Anfang Mai den pessimistischsten Monatsbericht über den Einzelhandel seit der Währungskrise von 1992 veröffentlicht, als Großbritannien aus der EU-Währungsschlange ausscheren musste. Eine schwache Wirtschaft sowie die knappere Parlamentsmehrheit könnten Blair einen Strich durch die Gesundheitsreform machen. In den vergangenen acht Jahren hat die Labour-Regierung den Gesundheits-Etat verdoppelt, ohne dass es spürbare Verbesserungen gab.

Nun will Blair auf die Tory-Pläne zurückgreifen, die er bei seinem Amtsantritt eingemottet hatte: Das Gesundheitssystem soll teilprivatisiert werden. Die Krankenhäuser sollen künftig keine Zuschüsse mehr erhalten, sondern pro Behandlung vom Staat bezahlt werden. Bei nicht dringlichen Operationen müssen sie mit privaten Anbietern konkurrieren. Das wird dazu führen, dass eine Reihe von staatlichen Krankenhäusern Pleite gehen werden. Da werden die Gewerkschaften und viele Labour-Hinterbänkler nicht mitspielen. RALF SOTSCHECK