Weltraumgleiter

Schräge neue Arbeitswelt: Die international berühmte Architektin Zaha Hadid verpasste dem neuen BMW-Werk in Leipzig futuristischen Glamour

VON NINA APIN

Am Tag der Eröffnung herrscht freudige Betriebsamkeit im Leipziger BMW-Werk. Kanzler Schröder und Oberbürgermeister Tiefensee preisen die vorbildliche Standortpolitik des bayerischen Automobilkonzerns. Einig stimmen ein evangelischer und ein katholischer Geistlicher das Vaterunser an für die etwa 5.500 Arbeitsplätze, die entstehen werden. Die Gewandhausbläser spielen einen getragenen Bach. Journalisten mit rotem Bändchen um den Hals eilen zwischen Pressezentrum, Café-Ecke und Rednertribüne hin und her. Hostessen mit gelben Bändchen lenken Besucherströme durchs Werk und führen die Journalisten den BMW-Konzernsprechern, mit blauen Bändchen, zu.

Zaha Hadid ist ein ruhender Pol inmitten des ganzen Trubels. In lässiges Schwarz gehüllt, sitzt die Architektin in der ersten Reihe der Pressetribüne. „Ich dachte immer, die Deutschen seien so unaufgeregt“, sagt sie und lächelt amüsiert. Die 54-jährige iranischstämmige Pritzkerpreisträgerin schuf die Kulisse, vor der jetzt Standortpolitik und Corporate-Image-Pflege betrieben werden. Das Zentralgebäude des neuen BMW-Werks ist geronnene Coolness, ein elegant-geschwungenes Gebilde aus Sichtbeton, Stahl und Glas. Von außen erinnert der Bau mit der seitwärts geneigten Silhouette an einen Weltraumgleiter. Im Innern fügen sich vielfältige Raumebenen aufs Verblüffendste zu einer harmonisch-fließenden Gesamtheit. Zaha Hadids Entwurf erfüllte als einziger von 200 Wettbewerbsbeiträgen die anspruchsvollen BMW-Vorgaben. Man wollte eine größtmögliche Transparenz zwischen Verwaltungsebene und Produktion erreichen. Hadid löste das Problem, indem sie die Verwaltung dezentral zwischen die verschiedenen Fertigungsbereiche setzte. Das Band mit den halbfertigen Autos gleitet über den Köpfen der Mitarbeiter vorbei. Das Großraumbüro ist von allen Ebenen des Haupthauses aus einsehbar, die Übergänge zu den drei Produktionsbereichen Karosseriebau, Montage und Lackiererei sind offen. „Für eine Fabrik ist mein Entwurf revolutionär“, sagt Hadid, die zuletzt mit ihrem wilden Bau für das Rosenthal Center for Contemporary Art in Cincinnati Aufsehen erregte.

Es scheint, als sei die Zeit endlich reif für Zaha Hadids dekonstruktivistische Entwürfe, die lange Zeit als unbaubar galten. „Die Leute wissen heute einfach mehr über moderne Architektur“, meint Hadid. „Sie erkennen, dass ein schönes Gebäude nicht gleichbedeutend mit einem historischen Gebäude ist. Und dass auch eine Fabrik Spaß machen darf.“ Die spielerisch-funktionale Eleganz des BMW-Baus passt perfekt zu einer Arbeitswelt, die ohne Lärm, Dreck und Arbeiterschweiß auszukommen scheint. Die Karosserien schnurren geräuschlos auf dem blau angestrahlten Förderband vorbei, vorbei an kommunikativ angeordneten Schreibtischreihen und vollverglasten Besprechungsinseln. Im Karosseriebau, wo Präzisionsroboter ruckend, fauchend und funkensprühend Schweißpunkte setzen, schlendern vereinzelte Mitarbeiter umher und drücken Knöpfe. Sogar die Transportwägen flitzen fahrerlos und computergesteuert durch die Halle.

Am Tag nach der Eröffnung herrscht Ruhe im BMW-Mutterschiff. Die Autos stehen heute still, von der gigantischen Tribüne bleiben nur ein Kabelhaufen und zersägte Sperrholzplatten auf dem Steinfußboden zurück. Zwischen den Schreibtischreihen schieben sich Putzfrauen mit Staubsaugern hindurch, ihr lupenreines Sächsisch dringt bis in den letzten schrägen Winkel. Zaha Hadid steht inmitten einer Besuchergruppe und versucht, ihre gute Laune zu behalten. In ihrer Eigenschaft als Professorin der Hochschule für Angewandte Kunst in Wien führt sie ihre Studenten durchs Haus. Doch das Surren der Staubsauger und die Details der Büroeinrichtung machen es ihr heute nicht leicht: Während ihr Büropartner Lars Teichmann von konvergenten Linienbündeln und kommunikativen Strukturen spricht, betrachtet sie missmutig die bordeauxfarbenen Schreibtischstühle. „Wir hatten eine sehr kurze Bauzeit von einem Jahr“, murmelt sie. „Wir mussten um viele Details kämpfen, aber im ganz Kleinen konnten wir uns nicht durchsetzen.“ Die Schiene aus Deckenlampen blieb aus Kostengründen unverschalt, an ein paar niedrigen Betonmauern sieht man die Holzmaserung. „Sieht ganz schön billig aus“, raunt ein Student seinem Kommilitonen zu. Zu seiner Professorin wahrt er lieber Abstand. Denn Frau Hadid ist gerade erzürnt zwischen zwei Schreibtischreihen stehen geblieben. Auf dem Schreibtisch ein gerahmtes Babyfoto. Zum Nachbarschreibtisch hin ist ein Bürokalender mit Naturfotografien gespannt, die erste Privatbarriere im transparenten Großraumbüro. Die Architektin zischt etwas von „utmost stupidity“ und läuft mit gestrafftem Rücken weiter. Genauso muss sich Walter Gropius gefühlt haben, als er den ersten Gartenzwerg im Vorgarten seiner Bauhausvilla gesichtet hat.