„Russland und die USA stützen die Diktatur“

In Usbekistan führt das Karimow-Regime einen Krieg gegen seine Bürger, der nach dem Aufstand in Andischan eskalieren wird. Doch die USA halten still: Denn in Usbekistan werden Al-Qaida-Gefangene verhört – und gefoltert

taz: Herr Raschid, ist der Islamismus für Usbekistan wirklich so bedrohlich, wie Präsident Karimow behauptet?

Achmed Raschid: Die Bedrohung durch die Islamisten ist heute viel geringer als vor dem 11. September 2001. Denn danach wurden viele von ihnen in Afghanistan besiegt und getötet. Die Islamisten sind zwar in Usbekistan präsent. Doch derzeit sind sie nicht in der Lage, die Massen zu mobilisieren. Dem Aufstand in Andischan sind ja keine Erhebungen in anderen Städten des Fergana-Tals gefolgt.

Stehen Islamisten hinter dem Aufruhr von Andischan?

Eindeutig nein. Den Aufstand haben Verwandte der 23 Geschäftsleute provoziert, denen dort der Prozess gemacht wird. Das war eine spontane Bewegung, einen Tag bevor das Urteil verkündet werden sollte. Denn niemand zweifelte daran, dass die Angeklagten zum Tode verurteilt werden würden.

Sehen Sie noch andere Gründe für den Aufstand?

Da hat sich eine angestaute Frustration entladen. Die Wirtschaftslage in Usbekistan ist sehr schlecht, die Menschen leben von 15 bis 20 Dollar im Monat. Die Lebensbedingungen sind weitaus schwieriger als zu Sowjetzeiten. Die 23 angeklagten Geschäftsleute waren Arbeitgeber für hunderte in Andischan. Ein weiterer Grund ist die politische Lage. Demokratische Parteien sind verboten, es gibt keine Meinungs- und Pressefreiheit.

Ist Andischan der Auftakt einer Entwicklung, wie wir sie in Georgien und der Ukraine erlebt haben?

Das Problem ist, dass es in Usbekistan keine demokratische Opposition gibt so wie in der Ukraine, Georgien oder Kirgisien. Deshalb gibt es in Usbekistan jetzt ein Machtvakuum, vor allem im Fergana-Tal.

Und wer wird dieses Vakuum füllen?

Einerseits die Staatsmacht mit weiteren Soldaten und mehr Unterdrückung, andererseits frustrierte junge Menschen, die in den Untergrund gehen, sich Waffen besorgen und versuchen werden, sich extremistischen Gruppen anzuschließen.

Stärkt die repressive Politik des Regimes von Islam Karimow die Islamisten?

Zweifellos. Die Unterdrückung von Muslimen, ganz normalen Bürgern und die Tatsache, dass sich die Menschen nicht über Parteien artikulieren können, hat zu wachsender Frustration geführt. Das Karimow-Regime ist dabei, alle Voraussetzungen zu schaffen, um den islamischen Fundamentalismus stark zu machen.

Beobachter warnen vor einer islamischen Revolution. Halten Sie das für möglich?

Die Extremisten sind jetzt nicht stark genug, um das Regime zu stürzen. Dafür braucht man die Beteiligung der Massen. Die Mehrheit der Usbeken ist aber gegen islamischen Extremismus. Doch ich sehe eine andere Gefahr: die eines möglichen Staatsstreichs in Taschkent von Leuten aus dem Umfeld von Karimow. Die wittern jetzt ihre Chance. Im Moment findet ein Machtkampf zwischen den Geheimdiensten und dem Innenministerium statt. Die Vertreter dieser Strukturen sind skrupellos und fahren einen noch härteren Kurs als Karimow. Ein Sieg einer der beiden Seiten würde die Lage noch verschlimmern.

Ist Andischan der Anfang vom Ende der Herrschaft Karimows?

Schwer zu sagen. Ziemlich sicher ist eine Eskalation der Gewalt. Der Staat hat 500 Bürger getötet und damit seine Legitimität endgültig verloren. Er wird jetzt noch mehr Gewalt gegen seine Bürger einsetzen. Dieser Prozess kann die Region destabilisieren.

Karimow ist ein wichtiger Partner Russlands und der USA im Kampf gegen den Terror. Wie werden sich Moskau und Washington jetzt verhalten?

Russland wird versuchen, den Status quo aufrechtzuerhalten und Karimow bis zu seinem letzten Tag zu unterstützen. Die USA haben viel zu lange Diktaturen in Zentralasien unterstützt. Dabei wurde immer der Krieg gegen den Terror angeführt, um dieses Verhalten zu entschuldigen. Die Aufstände in Kirgisien hätten eine Warnung für die USA sein sollen, dass diese Politik nicht länger akzeptabel ist. Eine plötzliche Wendung der US-Politik wie in Kirgisien ist in Usbekistan viel schwieriger – nicht nur wegen der US-Militärbasen dort. Denn CIA-Agenten haben Gefangene von al-Qaida an Usbekistan und das dortige Foltersystem der Geheimdienste überstellt. Das Thema Usbekistan ist daher für die USA sehr sensibel. Doch je länger sich Washington weigert, politische Reformen und Veränderungen in Usbekistan zu unterstützen, desto mehr Probleme werden sich die USA schaffen.

INTERVIEW: BARBARA OERTEL