Zuzahlungen treiben Krebskranke in Ruin

Immer mehr Krebspatienten können ihren Anteil für lebensrettende Behandlungen nicht zuzahlen. Zu der einschneidenden Diagnose kann dann der finanzielle Kollaps kommen. Schuld ist eine Lücke im Gesundheitsgesetz über ambulante Therapien

VON NINA MAGOLEY

Ärzte führen den größten Teil der Chemotherapien bei Krebserkrankungen inzwischen ambulant durch. Nach dem neuen Gesundheitsgesetz müssen Patienten aber bei Medikamenten zuzahlen, die ambulant im Krankenhaus oder in der Arztpraxis verabreicht werden. Das bedeutet für jede Flasche Chemotherapeutikum, die durch den Tropf läuft, 10 Prozent des Medikamentenpreises. Zwar ist die Zuzahlung pro Medikament auf 10 Euro limitiert, bei Preisen von bis zu 3.000 Euro pro Dosis Chemotherapeutikum ist 10 Euro pro Flasche aber Standard. Daher beobachten Ärzte und Krebsberatungsstellen zunehmend, dass Patienten während ihrer Therapie in massive finanzielle Schwierigkeiten geraten.

Hinzu kommen meist sehr teure Mittel gegen Übelkeit und eine lange Liste von lebenswichtigen Medikamenten, die der Kranke wöchentlich auf Rezept und mit Zuzahlung in der Apotheke kaufen muss. Gegen Schmerzen, Pilzbefall und andere Komplikationen. So kämen ohne weiteres 50 bis 70 Euro in einer Woche zusammen, rechnet Peter Borchmann, Onkologe an der Kölner Uni-Klinik. Immer öfter gestehen ihm Patienten, sich ein verordnetes Medikament nicht gekauft zu haben, „weil sie sich die Zuzahlung nicht leisten konnten. Weil sie einfach pleite sind.“ Von Einzelnen weiß Borchmann sogar, dass sie begonnen hätten, am Essen zu sparen.

Zwar bieten die Krankenkassen eine Befreiung an, sobald die Höhe der geleisteten Zuzahlungen 2 Prozent des Bruttojahreseinkommens erreicht. Allerdings legen viele Kassen dafür das Einkommen des – gesunden – Vorjahres zugrunde. Andere rechnen ohnehin erst am Ende des Jahres ab und erstatten dann zurück. Patienten mit geringem Einkommen ohne Rücklagen können durch die plötzlichen Kosten innerhalb weniger Monate tief in Schulden geraten, aus denen sie dann, wenn der Monatslohn längst auf Krankengeld geschrumpft ist, nicht mehr herauskommen. Zum gesundheitlichen Elend kommt dann die soziale Not.

„Das Leben mit einer Krebserkrankung ist teuer“, sagt Petra Kersten-Rettig vom Paritätischen Wohlfahrtsverband in Essen. Als Krebsberaterin kennt sie den Alltag der Krankheit: „Frisches Gemüse und Fleisch möglichst aus biologischem Anbau sind bei Tumorerkrankungen dringend geraten.“ Hinzu kommen Kosten für das Taxi, wenn die Kraft für Bus und Bahn nicht mehr ausreicht, für Salben und Nahrungsergänzungsmittel oder für Hilfe im Haushalt. Beim Härtefallfonds der Deutschen Krebshilfe können in Not geratene Krebspatienten eine einmalige Hilfe von 400 Euro beantragen. Im vergangenen Jahr verzeichnet der Fonds einen Anstieg solcher Anträge um 20 Prozent.

An der Berliner Charité wurden im vergangenen Jahr mehr als eine Million Patienten ambulant behandelt. 70 bis 80 Prozent der ambulanten Krebspatienten kämen durch ihre Therapie in „erhebliche finanzielle Schwierigkeiten“, schätzt Marion Weyl, Leiterin des Patientenmanagements der Charité. „Es trifft Menschen, die sowieso schon jeden Cent umdrehen und die dann auf diese Situation nicht vorbereitet sind, kleine Angestellte mit niedrigem Einkommen, allein erziehende Frauen.“ Oft würden Patienten direkt in der Verwaltung anrufen und fragen, ob sie die Medikamente nicht kostenlos bekommen könnten oder „ob es nicht irgendeine andere Lösung gibt“.

Das Thema ambulanter Therapien sei beim Entwurf des neuen Gesetzes nicht gründlich durchdacht worden, da sind sich Experten einig. Die Patientenbeauftragte des Bundesgesundheitsministeriums, Helga Kühn-Mengel, begegnet diesem Vorwurf mit der „Chronikerregelung“. Demnach kann bei Kranken, die seit einem Jahr ärztlich behandelt werden, die Zuzahlungsgrenze auf 1 Prozent des Bruttojahreseinkommens gesenkt werden. Eine akute Krebserkrankung gilt allerdings nach gesetzlicher Definition gar nicht als chronische Krankheit.

„Eine Krebserkrankung“, sagt Marion Weyl von der Charité, „ist ein massiver Einschnitt in das Leben eines Menschen, und eigentlich sollten wir als Gesellschaft in der Lage sein, vernünftige Regeln zu finden, damit diese Einschnitte für denjenigen, den es getroffen hat, nicht auch noch zum finanziellen Fiasko werden.“