Vattenfall will 90 Prozent weniger CO2

Die Europa-Tochter des schwedischen Staatskonzerns baut das erste Kohlendioxid-freie Kraftwerk der Welt, glaubt an die Zukunft der Braunkohle und fordert von der Politik und den anderen Energiekonzernen mehr Engagement beim Klimaschutz

AUS SPREMBERG UND BERLIN NICK REIMER

Ein einst gigantischer Industriekomplex erlebt eine Renaissance: Schwarze Pumpe bei Cottbus, das ehemalige Energie-Herz der DDR. Und mit ihm der einzige heimische Energierohstoff: „Wir werden hier das weltweit erste CO2-freie Braunkohlekraftwerk bauen“, kündigte gestern Klaus Rauscher, Chef von Vattenfall Europe, an. Hier, wo einst Brikettfabriken und DDR-Kraftwerke die Umwelt verpesteten und seit der Wende neun von zehn Arbeitsplätzen allein im Bergbau verloren gingen, soll für 40 Millionen Euro eine Pilotanlage mit 30 thermischen Megawatt Leistung gebaut werden.

„Das alles überlagernde Problem unserer Zeit ist der Klimawandel“, sagte Lars Josefsson, Rauschers Aufsichtsratsvorsitzender und Präsident der schwedischen Vattenfall-Mutter. Das globale Problem könne nur durch „lokales Handeln gelöst werden“. Josefsson forderte von den europäischen Energiekonzernen mehr Engagement: „Wir können das nicht allein den Umweltschützern und der Politik überlassen.“ Für ihn sei klar, dass Europa seinen Kohlendioxid-Ausstoß langfristig „bis zu 90 Prozent reduzieren muss“.

Zum Beispiel mit der Oxyfuel genannten Technik: Statt Luft wird dem Verbrennungsprozess im Kraftwerk reiner Sauerstoff zugeführt. „Das hat den Vorteil, dass das Abgas dann hauptsächlich aus Wasser und Kohlendioxid besteht“, erklärt Rauscher. Beides sei leicht zu trennen. Natürlich verwirre die Titulierung „Kohlendioxid-frei“: „Kohlendioxid entsteht nun einmal bei jedem Verbrennungsprozess“, so Rauscher. Der Charme dieser Oxyfuel-Technik bestehe vielmehr darin, dass das CO2 derart rein ist, dass es verflüssigt und in Tiefenspeichern gelagert werden kann – etwa in ehemaligen Erdöl-Lagerstätten.

Das allerdings ist Zukunftsmusik: „Noch ist der Forschungsbedarf an der Speichertechnik enorm“, so Klaus Rauscher. Läuft die kleine Pilotanlage zufrieden stellend, soll 2008 ein zehn- bis zwanzigmal größeres Demonstrationskraftwerk gebaut werden.

„Zufrieden stellend“ bedeutet: kostengünstig. „Wir rechnen beim Emissionshandel langfristig mit einem Zertifikatspreis von 20 Euro je Tonne Kohlendioxid“, so Rauscher. Derzeit liegt der Preis bei etwa 17,49 Euro. Die Zusatzkosten des mit der neuen Technik produzierten Stromes müssten also deutlich darunter liegen. „Kommerziell einsetzbar ist die Technik nicht vor 2015, vielleicht auch erst 2020“, schätzt Rauscher. Und natürlich sei geplant, die Technik derart auszufeilen, dass sie auch auf andere Energieträger übertragbar ist.

Bis dahin aber müssen in Deutschland – etwa wegen Überalterung oder des Atomausstieges – fast die Hälfte aller Kraftwerke neu gebaut werden. Und die Oxyfuel-Technik rechnet sich nur beim Neubau – Nachrüsten ist zu teuer. Rauscher: „Wir haben also ein Zeitproblem“.

Will Vattenfall durch Laufzeitverlängerung seiner AKWs – Krümmel, Brunsbüttel, Brokdorf – Zeit gewinnen? „Wir finden den Atomausstieg falsch, halten uns aber an den Vertrag, den wir mit der Regierung eingegangen sind“, so Kurt Häge, Kraftwerksvorstand von Vattenfall. Allerdings halte man sich offen, mögliche Änderungen dieses Vertrages durchzurechnen – falls die CDU nach einem Regierungswechsel neue Angebote unterbreite. „Fest steht: Wir werden in Schwarze Pumpe einen neuen 600-Megawatt-Block bauen, in Hamburg-Moorburg ein Blockheizkraftwerk an der Elbe“, so Häge. Die Kraft-Wärme-Kopplung sei klimafreundlich wegen ihrer Effektivität, das Braunkohlenkraftwerk in Schwarze Pumpe mit einem Wirkungsgrad von 41 Prozent eines der modernsten der Welt. „Braunkohle ist der einzige heimische Energieträger. Noch über 100 Jahre verfügbar, macht er uns unabhängiger von Weltmarkt-Preisschwankungen anderer.“ Derzeit werde das Dorf Haidemühl umgesiedelt. „Ist das abgeschlossen, wird mindestens bis 2040 keine Siedlung mehr abgebaggert“, sagte Häge.

Allerdings hatte die schwedische Regierung jüngst ihrem Staatsunternehmen die Direktive „Weg von der Braunkohle, hin zu regenerativen Quellen“ verpasst. Dazu Vattenfall-Chef Josefsson: „Nicht die Kohle ist das Problem, sondern die bei der Verbrennung entstehenden Treibhausgase. Und daran arbeiten wir“.

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