Wachstum ohne Entwicklung

Lateinamerikas Wirtschaft boomt dank gestiegener Rohstoffpreise. Doch von dem Segen kommt bei einem Großteil der Bevölkerung nichts an. In Peru nimmt Armut zu

BUENOS AIRES taz ■ Vom Aussichtshügel auf 4.210 Meter Höhe hat man einen Rundumblick auf Yanacocha. Von oben aus betrachtet sieht die Goldmine in den peruanischen Anden aus wie eine Marslandschaft. Tiefe Krater, in die auf dünnen Linien Serpentinenstraßen hinabführen. Kein Baum, kein Grashalm, kein Bach ist zu sehen.

In dieser Landschaft wird der Schatz Perus gehoben. Yanacocha ist eine der größten Goldminen der Welt und der Motor der peruanischen Wirtschaft. Die derzeit hohen Mineralienpreise bescheren dem chronisch krisengeplagten Andenland einen enormen Wachstumsschub. Schon seit vier Jahren verzeichnet Peru Zuwachsraten, von denen Gerhard Schröder nicht zu träumen wagt. Durchschnittlich erreichte die Andengemeinschaft, zu der Bolivien, Ecuador, Kolumbien, Peru und Venezuela gehören, 2004 ein Wachstum von 9 Prozent und gehört damit zu den am stärksten wachsenden Regionen der Welt.

Ganz Lateinamerika legte 2004 um 5,6 Prozent zu, in diesem Jahr wird mit einem Wachstum von 4,5 Prozent gerechnet. Bei diesem Aufschwung will die deutsche Wirtschaft nicht fehlen. „Lateinamerika im Aufschwung – Chancen nutzen“, lautet das Motto der Lateinamerika-Konferenz der deutschen Wirtschaft, die heute im kolumbischen Cartagena zu Ende geht.

Bislang hält sich die deutsche Wirtschaft mit ihrem Engagement in Lateinamerika zurück. Zwar konnten die deutschen Exporte in den dynamischen Freihandelsblock Mercosur mit Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay im vergangenen Jahr um ein Fünftel zulegen und brachten es damit auf 5,7 Milliarden Euro. Doch gerade in den enorm wachsenden Andenländern sind deutsche Firmen kaum präsent. Nur 3,2 Prozent aller Einfuhren dorthin kommen aus Deutschland, die Investitionen sind gering. Deutsche Firmen investieren lieber in die beiden größten Volkswirtschaften der Region: 42 Prozent der Direktinvestitionen fließen nach Brasilien, 28 Prozent nach Mexiko. Dabei sind ausländische Direktinvestitionen in den Andenländern insgesamt durch den Rohstoffboom stark gestiegen. In Kolumbien und Peru lagen sie bei 2,6 beziehungsweise 2 Milliarden Dollar, vor allem in den Bereichen Bergbau und Erdöl.

Die Frage ist jedoch, was geschieht, wenn die Rohstoffpreise fallen, von denen die lateinamerikanischen Länder stark abhängen. In Peru ist bereits heute ein anderes Phänomen auszumachen: Wachstum ohne Aufschwung. Peru ist ein traditionelles Bergbauland. Blei, Eisen, Kupfer, Zinn, Zink, Silber und Gold werden zum Teil schon seit Jahrhunderten aus den Bergen geklopft – die restliche Wirtschaft wird davon nicht angeschoben.

Der Grund: Der Bergbausektor ist sehr kapitalintensiv und wenig arbeitsintensiv. Wissen und Technik kommen aus den USA, Kanada und Europa. Es entstehen keine Zuliefererketten, die den Wirtschaftskreislauf in Gang bringen könnten, wie etwa in der Lebensmittelindustrie. Um vom Mineralienboom einen Anteil zu kassieren, hat der peruanische Kongress Anfang Juli vergangenen Jahres beschlossen, den Minenkonzernen sogenannte Royalties abzuverlangen. In Zukunft müssen die Bergbauer je nach Gewinn 1 bis 3 Prozent ihres Verkaufserlöses an den Staat überweisen. Bislang haben die Minenkonzerne den Rohstoff für ihr Produkt kostenlos in Peru abgebaut. Der in Lima lehrende Ökonom Humberto Campodónico sagt daher: „Es kommt nicht nur auf die Höhe des Wachstums an, sondern auch auf die Qualität.“

So ist auch zu erklären, dass Peru trotz Wachstum im jüngsten UN-Bericht über menschliche Entwicklung von Platz 82 auf Platz 85 abgerutscht ist.

INGO MALCHER