Der ausgetretene Weg nach Hause

Cannes Cannes (8): Auch wenn Wim Wenders glaubt, es sei sein bester Film: Der Kryptowestern „Don’t Come Knocking“ kann nicht überzeugen

An Selbstbewusstsein mangelt es Wim Wenders nicht. „Ich bin sehr stolz auf diesen Film“, sagt er, nachdem sein Beitrag zum Wettbewerb, „Don’t Come Knocking“, der Presse gezeigt worden ist. „Schon beim Drehen wussten wir: Wir machen die Sache richtig; es ist einer meiner besten Filme.“ Er raucht eine Zigarre, trägt ein blaues Hemd mit weißen Stoffeinsätzen und kann sich angesichts der vielen wohlwollenden Fragen, die ihm die Journalisten stellen, glücklich schätzen. Als einer doch mal kritisch nachhakt, wehrt der Regisseur ab. Ist es nicht zu schematisch, alle weiblichen Figuren so anzulegen, dass sie mit ihrem Leben klarkommen, wohingegen die männlichen Figuren samt und sonders hilflos sind? Die Gegenfrage lässt nicht auf sich warten: „Ja, ist es denn nicht genau so?“

Wim Wenders hat zuletzt „Land of Plenty gedreht“, der Film konnte im vergangenen September bei der Biennale in Venedig nicht überzeugen. Er war ein ohne große Vorbereitung digital gedrehtes Nebenprodukt von „Don’t Come Knocking“. Im neuen Film stecken nun mehrere Jahre der Arbeit; geholfen haben sie wenig. Sicherlich, es ist reizvoll, wie Franz Lustigs Kamera mit den Weiten des amerikanischen Westens und mit den Neonlichtern in den Städten umgeht – wie sie zum Beispiel den konkreten Ort eines Casinos in ein Licht- und Farbdelirium verwandelt oder einer heruntergekommenen Minenstadt in Montana eine raue Attraktivität abtrotzt.

Doch Wim Wenders neigt dazu, sobald er die Wahl zwischen einer subtilen und einer offenkundigen Auflösung hat, sich für Letztere zu entscheiden. Im Film sieht das so aus: Ein Mann lernt nach dreißig Jahren seinen bis dahin abwesenden Vater kennen und ist verwirrt? Wenders lässt ihn die Wohnungseinrichtung aus dem Fenster werfen, als hätte er noch nie von Overacting gehört. Howard, der Protagonist des Films (Sam Shepard), ein einst erfolgreicher, heute verbrauchter Schauspieler, wird von seinem freizügigen Lebensstil eingeholt? Natürlich leuchten die Bettlaken rot in dem Hotel, in dem er neben drei jungen Dingern aufwacht. Jessica Lange hat als Doreen, der einstigen Geliebten Howards, einen intensiven Auftritt? Wenders muss die Intensität ruinieren, indem er sie reimen lässt: „You are a coward, Howard.“ Dann lacht sie: „Oops, das reimt sich ja.“

„Die Familie und die Liebe, die man vermisst, weil man von der Familie fortgegangen ist, sind heutzutage ein wichtiges Thema“, sagt Wenders. Im Mittelpunkt stehe daher die Suche nach der Heimat, nach dem Ort, dem man sich zugehörig fühlt. Das sei „das ewige Thema des klassischen Westerns“. Diesen Bezug stellt der Film her, insofern Howard als Westerndarsteller seine besten Tage hatte. „Don’t Come Knocking“ eröffnet auf einem Filmset in der Landschaft der Canyons – wenn auch nicht im Monumental Valley, denn das habe, so Wenders, „seine Seele verloren“. Eine Lagerfeuerszene wie aus der Zigarettenwerbung kann sich dieser Film trotzdem nicht versagen. Doch der Western als Referenzpunkt ist nicht ohne Tücken. Zunächst einmal aus Gründen der Plausibilität: Die Zeit, in der der Protagonist ein großer Schauspieler hätte gewesen sein können, war die Zeit der Antiwestern, die Zeit von New Hollywood. Damals wurden Filme gedreht, die von der Unmöglichkeit, eine Heimat zu finden, handelten. Alles Versöhnliche war ihnen fremd. Im Grunde gilt dies nicht nur für die Antiwestern, sondern auch für die besten Western: Deren Helden wollten Heimat nicht finden, sondern die Freiheit von Heimat genießen.

Vielleicht liegt genau hierin die Crux von „Don’t Come Knocking“: Der Film ist nicht bereit, sich harscher Schönheit und riskanter Erkenntnis anheim zu geben und feiert lieber den ausgetretenen Weg nach Hause.

CRISTINA NORD