jazzkolumne
: Das coole Comeback des Posaunisten Roswell Rudd

Der New Yorker Posaunist war einer der wenigen Weißen mit Zugang zur Szene der afroamerikanischen Musiker

Hinter der Schönheit seiner Musik war oft große Enttäuschung, manchmal sogar Verbitterung verborgen. Rudd gesteht, dass er es bis heute nicht gelernt habe, nur von der Musik zu leben. Also musste er Sachen machen, über die man nicht gern spricht. Er habe jeden Job gemacht, um seine Familie durchzubringen, zum Schluss lief dann doch alles schief. Von der Dachterrasse seines Apartments aus kann Roswell Rudd den Hudson River sehen und auf das Chelsea Hotel schauen, dessen Dachgarten einem kleinen Dschungel ähnelt. Fünf Taximinuten weiter östlich, im Jazz Standard, einem der angesagtesten New Yorker Jazzclubs, wurde die CD des Roswell Rudd/Archie Shepp Quartets „Live in New York“ aufgenommen, die 2001 bei Verve erschienen. Man gehöre ja derselben Generation an, sagt Rudd über das Quartett, das gelegentlich noch um den afroamerikanischen Dichter und Kulturkritiker Amiri Baraka verstärkt wird. Sie wollten damals etwas anderes machen: improvisieren, swingen und den Blues spielen. Und dieses Zusammenspielen gab ihnen Kraft und die Bestätigung, Teil einer Bewegung zu sein – und dieses Gefühl habe er heute noch, sagt Rowell Rudd.

Tradition, Erfahrung und Haltung sind die Codes seiner Generation. Der 1935 geborene Posaunist Roswell Rudd war einer der wenigen Weißen, die damals Zugang zur Szene der jungen politisch motivierten afroamerikanischen Musiker hatten. Damals protestierte man gegen die Diskriminierung der Schwarzen und anderer Minderheiten, und zumindest auf Gesetzesebene wurde ja auch einiges erreicht. Der Blick auf die aktuelle politische Situation aber stimmt Rudd nicht gerade glücklich.

Erst seit einigen Jahren hat er eine Managerin, Verna Gillis, der er maßgeblich seine Rückkehr auf die Szene verdankt. Auf seinen Wunsch brachte sie nach 35 Jahren das New York Art Quartet mit Saxofonist John Tchicai, Schlagzeuger Milford Graves and Bassist Reggie Workman und Rudd wieder zusammen, und dann noch die großartige Band mit Archie Shepp, mit zwei Posaunisten, wechselnden Bassisten und Schlagzeug, von der heute aber nur noch wenige leben. Für Rudd war das auf „Live in New York“ dokumentierte Konzert ein neuer Anfang.

Ohne große Unterbrechungen machte der Posaunist einst seinen Weg vom Dixieland zum Free Jazz. Das Repertoire von Rudds School-Days-Band, die er Anfang der Sechzigerjahre mit dem Sopransaxofonisten Steve Lacy und dem Schlagzeuger Dennis Charles gründete, bestand ausschließlich aus Thelonious-Monk-Kompositonen, mit dem Trompeter Bill Dixon spielte er damals Free Jazz, und 1964 gründete er zusammen mit Tchicai das New York Art Quartet. Aus jener Zeit stammt auch die Platte „Roswell Rudd“, die gerade in der „Free America“-Serie bei Universal auf CD erschienen ist. In der zweiten Hälfte der Sechzigerjahre machte Rudd wichtige Aufnahmen mit Archie Shepp, Cecil Taylor, Charlie Haden’s Liberation Music Orchestra und Gato Barbieri, in den Siebziger- und Achtzigerjahren holte ihn Steve Lacy gelegentlich noch ins Studio, doch in den Clubs war Rudd kaum mehr zu sehen.

Ab Mitte der Siebzigerjahre unterrichte Rudd für einige Jahre World Music, Jazzgeschichte und Improvisation. Rudd ist einer von denen, die immer spielen müssen, ob es Auftritte gibt oder nicht. Schon als Kind begann er damit, weil er die Musik liebte, und dann stellte man auch noch fest, dass es ihm beim Atmen half, gut gegen sein Asthma also. Spielen wurde für ihn so auch zur Therapie – egal, was er sonst tagsüber gemacht habe, Lastkraftwagen gefahren, im Straßenbau gearbeitet oder Unterricht gegeben, Posaune habe er jeden Tag gespielt. Dass er vor zwei Jahren für ihn völlig unerwartet von der amerikanischen Jazzjournalistenvereinigung zum Posaunisten des Jahres gewählt wurde, hat einiges in ihm zurecht gerückt.

Seit Mitte der Neunzigerjahre macht er auch wieder eigene Platten, 2000 erschien bei Verve die CD „Monk’s Dream“, die er zusammen mit dem vor einem Jahr verstorbenen Steve Lacy aufgenommen hat. Ein Schweizer Filmteam begleitete Roswell Rudd nach Mali, um die Produktion seiner CD „MALIcool“, die 2002 bei Soundscape erschien, zu filmen. Doch die erschwerten Einreisebedingungen nach dem 11. September 2001 verhinderten es, jenen turbulenten Mix aus traditionellen malischen Klängen und Jazz in New York live aufzuführen. Rudd bezeichnet „MALIcool“ als die Realisierung eines Traums, ein Sound wie Atmen und Hypnose.

CHRISTIAN BROECKING

Zusammen mit dem Kora-Spieler Mamadou Diabaté tritt Roswell Rudd mit „MALIcool“ am 17. Juni beim „in transit“-Festival im Berliner Haus der Kulturen der Welt auf