Jeder klatscht für sich allein

Die erste Neuwahldebatte in der Bürgerschaft offenbart das Desinteresse des Bürgermeisters und die Konzeptlosigkeit der CDU. Und die Tatsache, dass SPD und Grüne nicht unbedingt gegeneinander kämpfen, aber keinesfalls gemeinsam

Von Sven-Michael Veit

Der Wahlkampf begann mit einem Tiefschlag: „Wann ist denn ihr Auflösungsparteitag?“, rief ein Christdemokrat durch den Plenarsaal der Bürgerschaft, als der SPD-Abgeordnete und Landesvorsitzende Mathias Petersen zum Rednerpult schritt. Der Arzt mit drei bürgermeisterlichen Vorfahren in der Ahnengalerie stockte kurz ob dieses unhanseatischen Zwischenrufs. „Das Niveau hier sinkt bedenklich“, stellte er kopfschüttelnd fest. Es sollte sich, was die Beiträge der Regierungsfraktion betrifft, auch nicht deutlich bessern.

Am ehesten Normalform erreichte noch Marcus Weinberg. Ausführlich deklinierte er die „verfehlte Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik“ der rot-grünen Bundesregierung durch, die verantwortlich sei für „steigende Arbeitslosigkeit“ und „dramatische Steuereinbrüche“. Das habe zu dem „finanziellen Desaster“ in Ländern und Kommunen geführt, analysierte der Christdemokrat, der im Wahlkreis Altona für den Bundestag kandidieren will. Seine Partei werde nach einem Sieg im September ihr wichtigstes Wahlversprechen wahr machen: „Wir stehen für Arbeit, Arbeit, Arbeit.“

Weinbergs Fraktionsvorsitzender Bernd Reinert hingegen wusste lediglich zu versichern, eine Bundeskanzlerin Angela Merkel werde „alles besser machen“, ohne das näher zu begründen. CDU-Fraktionsvize Karen Koop allerdings erwischte einen rabenschwarzen Tag. SPD und Grüne hätten „an den Bedürfnissen der Menschen vorbeiregiert“ und würden deshalb abgewählt werden. Vor allem die Grünen, so die bislang als liberal geltende Lehrerin, „rauben mit Multikulti den Menschen die Identität: Daraus erwächst Fremdenhass“, will Koop erkannt haben. Damit provozierte sie die einzige Einhelligkeit zwischen Rot und Grün in dieser Debatte: Empörung. Ansonsten, das machte die über weite Strecken erregte Redeschlacht im Parlament bereits klar, kämpfen SPD und GAL an der Wahlurne jeweils für sich allein.

So hatte SPD-Chef Petersen einleitend vor allem die Fehler des Hamburger CDU-Senats aufgelistet. Gebühren für Kitas, Schulen, Sporthallen oder Studium, den höchsten Anstieg der Arbeitslosigkeit aller Bundesländer, Verkauf des LBK gegen den ausdrücklichen Willen des Volkes – „erschreckend“ sei die Bilanz der allein regierenden CDU an der Elbe, befand Petersen unter demonstrativem Beifall seiner Fraktion. In den Reihen der GAL-Fraktion hingegen rührte sich keine Hand.

Auch nicht für Vize-Parteichefin Dorothee Stapelfeldt, die ihre Ansprüche auf ein Bundestagsmandat im Wahlkreis Eimsbüttel mit einem Schaulaufen unterstreichen durfte. „Sie stehen nicht für soziale Demokratie in Hamburg“, warf sie dem Beust-Senat vor, allein schon die Kinder-, Schul- und Familienpolitik in Hamburg dürfe „kein Maßstab im Bund werden“ warnte Stapelfeldt. Die GAL, die zu solcher Rede schon häufig heftig geklatscht hat während der rot-grünen Oppositionszeit, schwieg.

Ihr Fraktionsvize Willfried Maier versuchte gar nicht erst, sozialdemokratischen Beifall hervorzulocken, sondern präsentierte eine glanzvolle grüne Bilanz. Ökosteuer, Atomausstieg, Förderung regenerativer Energien, Zuwanderungsgesetz, Homoehe, solidarische Gesundheitsversorgung, Friedenspolitik statt Krieg im Irak: Maier kam aus dem Schwärmen gar nicht mehr heraus. „Wir sehen uns nach sieben Jahren Rot-Grün in Berlin als ausgesprochen erfolgreiche Partei“, verkündete er. Und nur die eigene Fraktion stimmte zu.

Noch deutlicher beharrte Fraktionschefin Christa Goetsch auf dem eigenständigen grünen Weg. Noch-Bundeskanzler Schröder wolle „weiter Steuern senken, ohne zu wissen, wie die Gegenfinanzierung aussieht oder die Einnahmen zu verbessern sind“, ging sie den jahrelangen Koalitionspartner frontal an. Sie frage sich, so Goetsch, die in Altona als Direktkandidatin für den Bundestag antreten wird, „wie das alles den Bürgern eigentlich noch zu vermitteln ist“.

Oder auch nur dem Bürgermeister. Ole von Beust zog sich nach wenigen Minuten ins Hinterzimmer zurück und kam erst wieder raus, als die Wahlkampfdebatte beendet wurde. Aber in den nächsten Monaten wird auch er gewiss noch zu den WählerInnen sprechen.