Ground Zero zurück auf null

Es werden Wolkenkratzer mit viel Bürofläche, alles andere ist unklar: Nachdem die New Yorker Polizei den Entwurf für Daniel Libeskinds Freedom Tower kassiert hat, weiß niemand, wie es weitergeht

Das „Freiheitsmuseum“ soll Menschenrechtsverletzungenin Vergangenheitund Gegenwart anprangern

VON SEBASTIAN MOLL

Das Gerangel um die Bebauung des früheren World-Trade-Center-Geländes in Manhattan ist mittlerweile ein solches Durcheinander, dass die Stimmen immer lauter werden, die fordern, einfach von vorne anzufangen. Nachdem der Entwurf für den Freedom Tower von Daniel Libeskind erst vom Pächter des Geländes, Larry Silverstein, und nun wegen Sicherheitsbedenken auch von der New Yorker Polizei vermurkst wurde, ist nur noch sicher, dass viele Wolkenkratzer mit viel Bürofläche dort hin sollen. Das könne er auch, dachte sich deshalb erst vergangene Woche der nicht eben für Geschmack und gehobene Reflexion bekannte Immobilientycoon Donald Trump und schlug vor, doch einfach die alten Türme neu zu bauen, ein bisschen größer allerdings.

Die Symbolik wäre nicht weniger provokant als die des Libeskind-Entwurfs. „Eine Einladung für alle ehrgeizigen Terroristen der Welt“, nannte Kurt Andersen, Chefredakteur des Bennetton-Magazins Colors und Kolumnist für das New Yorker Gesellschaftsmagazin New York, den Plan, das Gelände mit dem größten Wolkenkratzer der Welt und Bürofläche vom Äquivalent von sieben Empire State Buildings voll zu stopfen. Ganz abgesehen davon, dass in Manhattan 27 Prozent der Bürofläche leer steht und die Stadt dringend bezahlbaren Wohnraum bräuchte.

Von dem unwürdigen Tauziehen um den Freedom Tower und die umstehenden Bürotürme zwischen Stadt, Staat, den Grundstückseignern und Pächtern sowie den Angehörigen der Opfer war auch die Gedenkstätte nebst Museum nicht ausgenommen. Das norwegische Büro Snohetta hatte sich den Wünschen von Santiago Calatrava zu fügen, der die benachbarte Bahnstation baut, und musste sich an die Vorgaben des Bebauungsplanes von Libeskind halten, der rechts und links des Museums Wasserbecken an Stelle der Grundrisse des alten World Trade Centers vorsieht. Zudem bekamen die Norweger noch von der Transportgesellschaft Port Authority 3.700 Quadratmeter Fläche für die Belüftung und andere technische Anlagen des Bahnhofs aufgebrummt.

Als „Verbiegungskünstler“, wie die New York Times die Norweger nannte, haben sich die skandinavischen Architekten gut gemacht. Das interessante Holzgebäude, das letzten Freitag vorgestellt wurde, hat einen großen Lichthof im Zentrum sowie eine spiralförmig umlaufende Rampe und tritt in einen gelungenen Dialog mit dem Bahnhof von Calatrava. Es gibt den schweren umstehenden Büroklötzen einen angenehm leichten Kontrapunkt und gewinnt dem überfüllten Gelände zusätzlich Freiraum ab, indem es auf Stelzen steht.

Weniger subtil und geschickt ist indes das, was in das „Freedom and Drawing Center“ hineinsoll. Zur Hälfte beherbergt das Gebäude das Drawing Center, eine renommierte Kunstinstitution für zeitgenössische Malerei. Zur anderen Hälfte sollte laut Vorgaben der Lower Manhattan Development Corporation (LMDC), der Holding-Firma, die das Gelände managt, des 11. Septembers gedacht werden.

Um Letzteres zu tun, beauftragte die LMDC den Dokumentarfilmproduzenten Peter Kunhardt und Tom Bernstein, den Besitzer eines luxuriösen Fitness- und Amüsierkomplexes am Hudson River. Statt der Opfer des 11. September zu gedenken, dachten die beiden sich jedoch ein „Freiheitsmuseum“ aus. Dort werden Menschenrechtsverletzungen auf der ganzen Welt in der Vergangenheit und der Gegenwart angeprangert und Personen und Gruppen geehrt, die für Freiheit und Menschenrechte eintreten.

Kunhardt behauptet zwar, er habe über die Politik hinausweisen wollen, doch wenn er das tatsächlich wollte, dann wusste er offenkundig nicht, wie er das anstellen soll. Denn das Junktim zwischen dem 11. September und dem so genannten Freiheitskampf in der ganzen Welt am Ground Zero herzustellen, bedeutet nichts anderes, als das Paradigma von George Bushs Außenpolitik zu perpetuieren. So nannte die New York Times die Pläne des Filmemachers und des Fitnessstudio-Betreibers „simplizistische chauvinistische Propaganda“ und sorgte sich um die Wirkung auf den Rest der Welt. Catherin de Zegher, der Direktorin des Drawing Centers, war bei der Enthüllung die Nachbarschaft des Freedom Centers sichtlich unangenehm und sie nannte die so genannte Gedenkstätte eine „ideologische Institution“. Zusammen mit den megalomanischen Bürotürmen entsteht am Ground Zero ein Symbolgemisch, das provokanter ist, als es das World Trade Center jemals war. Das stand wenigstens nur für globalen Kapitalismus. Dem wird jetzt Triumphalismus und Ignoranz hinzugefügt. Und so fragt der Kolumnist Kurt Andersen mit wenig Ironie: „Was wird stärker sein – unser trotziges Überlegenheitsgefühl bei der Eröffnung 2009 oder der Horror, wenn 2010 der 140-stöckige Mittelfinger des Geländes zu Schutt gebombt wird.“