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Uganda galt als vorbildlich im Kampf gegen die Aidsepidemie. Bis die First Lady Janet Museveni mit ihrer Kampagne begann

VON MICHIEL VAN OOSTERHOUT

„Irgendwo wartet jemand auf dich! Wie steht es mit dir?“, fragt das Mädchen auf dem Plakat an einer großen Straße die Fußgänger. Am Haupteingang der Makerere-Universität ruft ein weiteres Mädchen von einem anderen Plakat ihre AltersgenossInnen dazu auf, den Versuchungen des vorehelichen Sex zu widerstehen.

Ihre Botschaft ist Teil der Enthaltsamkeitskampagne, die First Lady Janet Museveni zum Neujahrstag ins Leben gerufen hat. Ausgerechnet Uganda, das Land, dessen erfolgreicher Kampf gegen die Aidsepidemie in aller Welt gelobt wird, macht jetzt mit religiös motiviertem Hintergrund Stimmung gegen die Aufklärung. Lighthouse TV, ein ugandischer Fernsehsender, der vierundzwanzig Stunden am Tag sakrale Shows von Born-Again-Predigern aus aller Welt zeigt, bezeichnete 2005 schon hoffnungsvoll als „das Jahr der Enthaltsamkeit, das Jahr der Veränderungen!“. Eine gemeinsame moralische Mission von Fernsehen und Straßenwerbung erklärt der Bevölkerung: Kein Sex ist hip, Kondome sind unmoralisch.

Um das Schwimmbad auf dem Unigelände haben sich hunderte von Studenten versammelt. Sie sind gekommen, um der „Warte ab“-Rede von Martin Ssempa zuzuhören, einem unter Studenten sehr populären Born-Again-Prediger. Ssempa wurde bekannt durch seinen Feldzug gegen den moralischen Verfall in Uganda. Mit seinem amerikanischen Zungenschlag hat er die Jugendlichen schnell auf seiner Seite. „Sind hier noch Jungfrauen unter uns?“, ruft er in die Menge. Ein lautes Johlen kreist um das Schwimmbad.

Im Veranstaltungszentrum „Didi’s World“ hat sich die Ugandische Jugendkonferenz versammelt. Der Geschäftsführer von Lighthouse TV, ein weiterer eingefleischter Born Again, ist erschienen, um einige aufmunternde Worte an die Jugendlichen zu richten. Mit lauter Stimme verurteilt er die Medien, die „das Herz unserer Jugend kaputtmachen“ mit ihrer Werbung für Bier und unmoralische Diskotheken. „Entscheidet euch für das reine Leben und habt keinen Geschlechtsverkehr vor der Hochzeit. Ich habe es auch getan, fünfzehn lange Jahre!“ Das Publikum jubelt und applaudiert. Für die Konkurrenten, Channel 5, Ostafrikas MTV, sieht er schlechte Zeiten herankommen. „Ich habe dem Besitzer von Channel 5 gesagt, dass sein Sender falsch ist. Dass Gott ihn verurteilen wird.“

Ein kürzlich erschienener Bericht von Human Rights Watch, „Je weniger sie wissen, desto besser: Enthaltsamkeit als ausschließliche Präventionsmethode von HIV/Aids-Programmen in Uganda“, erläutert die jüngst vorgenommene Streichung von lebenswichtigen Informationen über HIV/Aids aus den Lehrplänen. „Momentan werden Unterrichtsmaterialien entworfen, in denen fälschlicherweise von mikroskopisch kleinen Poren in Latexkondomen gesprochen wird, durch die das HIV-Virus eindringen könne. Auch wird darin vorehelicher Sex als eine Form ‚abnormalen Verhaltens‘ bezeichnet. Bei von der US-Regierung unterstützten HIV/Aids-Kundgebungen werden ähnliche Unwahrheiten verbreitet“, so der Bericht.

Die Anti-Aids-Aktivisten Ugandas sind außer sich vor Wut. In einer großen Zeitungsanzeige lassen sie wissen, was die Botschaft der First Lady für sie bedeutet. Sie haben die ABC-Strategie (Abstinence, Be Faithful, Condoms) im Sinne der Kampagne umgedeutet: „A, B oder stirb!“ Die First Lady ihrerseits hat scharfe Kritik an Gruppen geübt, die die Aufklärung junger Leute betreiben, und forderte eine landesweite „Jungfrauenzählung“, um ihrer Enthaltsamkeitsagenda Nachdruck zu verleihen.

Mit der moralischen und finanziellen Rückendeckung von US-Präsident George W. Bush sieht es ganz so aus, als ob 2005 das Jahr wird, in dem die Enthaltsamkeitsbotschaft den Durchbruch schafft. Und so ist es wohl auch mehr als nur purer Zufall, dass die Nationale Drogenbehörde (NDA) vor zwei Monaten zehn Millionen in Deutschland produzierte „Engabu“-Kondome aus dem Handel genommen hat. Der Grund? Sie sollen einen merkwürdigen Geruch gehabt haben. Anti-Aids-Aktivisten sehen hier einen engen Zusammenhang mit der Kampagne der First Lady. Ist die Enthaltsamkeitsbotschaft nicht vielleicht erfolgreicher, wenn sie zeitlich mit einen Mangel an Kondomen zusammenfällt?

Dass nun auch so hippe Fernsehmoderatoren wie Strakka vom populären WBS-Fernsehen Janet Musevenis Botschaft unterstützen, lässt erahnen, dass die Kampagne gegen Kondome erfolgreich sein kann. Präsident Yoweri Museveni hat sich politisch hinter seine Frau gestellt, als er auf der Internationalen Aids-Konferenz 2004 in Thailand forderte, es solle mehr Gewicht auf Enthaltsamkeit und Treue gelegt werden. Nicht auf Verhütungsmittel. Gesundheitsminister Alex Kamugisha blies kürzlich ins gleiche Horn: „Von 2005 an wird das Ministerium an der Einfuhr von Kondomen weniger beteiligt sein. Wir sind zu der Überzeugung gelangt, dass Enthaltsamkeit und Treue der einzige Weg sind, die Verbreitung von HIV/Aids einzuschränken.“

Anti-Aids-Aktivisten dagegen fragen sich, ob es nicht wirksamer wäre, Kondome zu verteilen und gegen das explosive Wachstum halbpornografischer Magazine in Kampala vorzugehen. Dass gerade die First Lady treibende Kraft der moralischen Kampagne ist, lässt das „Forum für Menschen mit HIV/Aids“ vermuten, dass es in erster Linie um amerikanische Dollar und Macht geht. Ein großer Teil der fünfzehn Milliarden Dollar, die Präsident Bush im Jahr 2003 für den Kampf gegen HIV/Aids versprochen hat, wird in Programme fließen, die Abstinenz propagieren. So sind die Anti-Aids-Aktivisten auch wenig verwundert darüber, dass Präsident Museveni nicht mehr an die Wirksamkeit der ABC-Methode glaubt.

Die Enthaltsamkeitspropagandisten behaupten, wissenschaftliche Beweise dafür zu haben, dass Abstinenz der wichtigste Grund für Ugandas Erfolge im Kampf gegen HIV/Aids ist. Organisationen wie das Alan Guttmacher Institut widersprechen dem jedoch in einer Studie, nach der es unmöglich ist, zu ermitteln, welcher der drei Faktoren, A, B oder C, der dominierende Faktor für die Erfolge ist. Darüber hinaus entspricht die offizielle Zahl von 6,2 Prozent Infizierten in Uganda womöglich nicht der Realität. Die tatsächlichen Zahlen liegen weitaus höher, sagen neue kontroverse Untersuchungen, die unter anderem die Tatsache ins Feld führen, dass die Infektionsrate der 1,5 Millionen Acholis in den Flüchtlingslagern des nördlichen Uganda nie untersucht worden ist.

Dass Präsident Museveni, gerade nach seiner Machtübernahme 1986, die Gefahr der HIV/Aids-Epidemie erkannte und sie eine nationale Katastrophe nannte, ist unumstritten. Während einer Tour durch das ganze Land rief er damals die Bevölkerung auf, verantwortungsbewusst zu sein und die ABC-Methode anzuwenden. Jedes Ministerium wurde beauftragt, Programme im Kampf gegen das tödliche Virus zu entwickeln. Die Bevölkerung Ugandas sollte sich aber vor allem selber danken, weil sie das Thema gesellschaftlich enttabuisiert und besprechbar gemacht hat. Viele andere afrikanischen Länder können davon viel lernen.

Moralisten wie Pastor Ssempa aber sind froh über die Unterstützung der First Lady. „Enthaltsamkeit ist der einzige Weg, hundertprozentig sicher vor einer HIV-Infizierung zu sein“, sagt Ssempa. Das ist eine Tatsache. Aber was ist mit jenen, die mit dem Sex nicht warten wollen bis zur Hochzeit? Ssempas Rezept ist einfach: „Werde Mitglied unseres ‚Wirkliche Liebe Wartet‘-Clubs, und Gott wird dir helfen durch das Gebet.“

In seinem Büro, das Weißes Haus genannt wird und damit die große Verbundenheit mit den amerikanischen Born-Again-Geldgebern deutlich macht, stellt er die Situation etwas anders da. Ist Enthaltsamkeit auch eine Lösung für die vielen Frauen, für die Sex ihre Lebensgrundlage ist? „Für Prostituierte und andere gefährdete Gruppen müssen wir natürlich eine Ausnahme machen“, lenkt Ssempa ein. Und was ist mit Frauen, die mit einem untreuen Ehemann zusammenleben?

Der 23-jährige Stephen Yama kommt gerne zu Ssempas Versammlungen ins Schwimmbad. Er liebt die Unterhaltung und singt mit Leidenschaft christliche Lieder. Glaubt er auch an Ssempas Botschaft, und praktiziert er sie? Yama lächelt: „Ich bin schon fünf Jahre mit meiner Freundin zusammen. Im ersten Jahr haben wir Kondome benutzt. Dann sind wir in eine Klinik gegangen und haben uns testen lassen. Das machen wir jedes Jahr. Seitdem tun wir es live, ohne Kondome.“

Yama schließt Enthaltsamkeit als Lebenskonzept nicht völlig aus. „Aber ohne Kondome werden viele Menschen sterben. Man muss öffentlich über die Gefahren der Epidemie reden können, so wie bei uns in Uganda. Darauf bin ich als Ugander sehr stolz. Wir sind ein Beispiel für Afrika und die Welt.“ Besonders positiv spricht er über die Arbeit von Straight Talk, einer Anti-Aids-Gruppe, die schon mehr als zehn Jahre Aufklärungsarbeit unter Jugendlichen betreibt. Yama: „Dass Straight Talk so öffentlich über Sex redet, hat mir sehr geholfen. Sie erklären, wie man Kondome benutzt, und sie reden über Enthaltsamkeit, Treue und vieles mehr.“

Seit inzwischen über zehn Jahren publiziert Straight Talk monatlich die Broschüren Straight Talk und Young Talk, die im ganzen Land an den Schulen verteilt werden. Zunächst wurde auch hier die ABC-Methode propagiert. Aber Programmdirektorin Anne Akia glaubt inzwischen nicht mehr, dass ABC wirksam genug ist. Akia: „Wir müssen weiter denken. Es gibt so viele HIV-positive Menschen in unserer Gesellschaft, denen nicht geholfen wird. Wir bleiben in der Debatte um Enthaltsamkeit stecken.“ Zur Mission der First Lady meint sie: „Ich hoffe wirklich, dass sich diese Kampagne auch um Menschen mit HIV kümmert. Oder sieht man die Infizierten als schlechte Menschen an, die ungeschützten Geschlechtsverkehr hatten und deshalb ihrem Schicksal überlassen werden sollten?“

Sie hält es für naiv und unwissenschaftlich, den Verzicht auf körperliche Liebe zu predigen. Aus den vielen Briefen, die ihre Organisation von Jugendlichen erhält, weiß sie, dass junge Leute heute weitaus besser über die Gefahren von HIV/Aids informiert sind als noch vor zehn Jahren. Was aber nicht bedeutet, dass sie nicht sexuell aktiv sein wollen. Ihnen dann ausschließlich mit „No Sex“ zu kommen wirkt nicht, sagt Akia.

„Ich fürchte, dass die Abstinenzkampagne Menschen, die Sex haben wollen, kriminalisiert. Sie werden sich minderwertig fühlen und wieder heimlichen Sex haben, mit allen üblen Folgen. Natürlich wissen wir, dass Enthaltsamkeit die beste Methode ist, sich nicht zu infizieren. Aber die Wirklichkeit ist eine andere. Wir leben in einem Land, in dem Polygamie nicht verboten ist. Uganda hat einen der höchsten Prozentsätze an Teenager-Schwangerschaften in ganz Afrika. Außerdem werden viele Mädchen zu Sex mit Sugar-Daddys gezwungen, um ihr Schulgeld bezahlen zu können.“

Die christlichen Kirchen Ugandas haben die Enthaltsamkeitskampagne mit Begeisterung aufgenommen und verkünden die Botschaft in der Welt. Vielleicht hoffen sie ja, auf diese Weise auch ihre eigenen Probleme lösen zu können. Eine Untersuchung des Ministeriums für Geschlechterangelegenheiten, durchgeführt von der Anti-Aids-Organisation Safe Life Uganda (SLU), besagt nämlich, dass unter den Klerikalen im Vergleich zu anderen Gruppen die meisten HIV-Infizierten sind. Ihnen folgen auf der Rangliste Lehrer, die ihre Schülerinnen zu Sex zwingen, und Polizisten, die Gefangene vergewaltigen. Patrick Donald Ouncha von SLU kennt den Grund, weshalb die Geistlichkeit an erster Stelle rangiert: „Die Frauen betrachten ihren Priester als heilig und bestehen deshalb nicht auf dem Gebrauch von Kondomen.“

MICHIEL VAN OOSTERHOUT lebt als freier Journalist in Uganda