DIE PARTEIEN SEHEN DEN STAAT ALS DIENSTLEISTER FÜR IHR MARKETING
: Allgemeine Verantwortungslosigkeit

Eine Erkenntnis eint alle Fraktionen des Bundestages: dass jede neue Regierung leere Kassen vorfinden wird. Die Reaktionen darauf orientieren sich jedoch vor allem an den – unterstellten – Erwartungen der eigenen Anhänger und an dem Gefühl, dass der Staat den jeweils regierenden Parteien gehört. Nicht etwa den Bürgerinnen und Bürgern.

Die FDP beharrt darauf, dass die Steuern gesenkt werden müssen. Ganz egal, wie pleite die Republik sein mag. Eigenverantwortung heißt hier: Wir behalten, was wir haben, und alle anderen sollen sehen, wo sie bleiben. Die Grünen wollen hingegen plötzlich eine geplante Senkung der Unternehmensteuer nicht mehr mittragen. Aus inhaltlichen Gründen oder aus wahltaktischen Überlegungen? Die Führungsspitze denkt seit Tagen halblaut darüber nach, ob die Partei in letzter Minute die Koalition verlassen sollte. Offenbar vor allem aus Gründen der so genannten Selbstachtung.

Das zeigt, dass Regierungsbeteiligung inzwischen auch bei den Grünen wenig mit Verantwortung für das Gemeinwesen zu tun hat, aber viel mit Eitelkeit. Ist ja egal, ob die Bundesrepublik in den nächsten Monaten noch einen arbeitsfähigen Außenminister hat oder nicht. Und wie sieht es bei den so genannten Volksparteien aus? Nicht besser.

Der Bundeskanzler erklärt, er wünsche eine Volksabstimmung über seine Politik. Er kapert also das alte Schlachtschiff SPD. Wer auch immer einen der Parteiflügel für das kleinste Übel halten mag: Gerhard Schröder will jede Stimme für die SPD zu einem persönlichen Vertrauensvotum für seine Politik deklarieren. Was es seinen internen Kritikern nicht leichter machen dürfte, für die alte Arbeiterpartei zu stimmen.

Und die Union? Sie erörtert, ob sie im Wahlkampf für all das kämpfen soll, wogegen sie sich jahrelang gewehrt hat: die Abschaffung der Eigenheimzulage und die Erhöhung der Mehrwertsteuer. Beispielsweise. Beides mag sinnvoll sein – aber warum erst jetzt? Weil auch die Union den Staat vor allem als Dienstleister fürs eigene Marketing betrachtet. Nicht etwa als Organisator des Gemeinwohls. Vor diesem Hintergrund wirkt die Option der Stimmenthaltung plötzlich gar nicht mehr so unpolitisch. BETTINA GAUS