Revolution ist eine Frage des Stils

Die dänische Mod-Band The Movement feiert das Proletariat, den fest sitzenden Krawattenknoten und den Motorroller. Ihre Roadshow ist eine Mischung aus Geschichtslektion und romantischem Zitat – und vermag doch aktuell zu begeistern

VON THOMAS WINKLER

Die Anzüge sitzen. Die Krawattenknoten sind eng geknüpft. Die Köpfe nicken im Takt. Der Schweiß tropft von der Decke. Die Jacketts fallen erst zu den Zugaben. Manchmal könnte man glatt denken, es wäre 1977 und The Jam spielten im „Roxy“ zu London. Aber dies ist der Magnet, ein kleiner Rockclub in Berlin-Prenzlauer Berg, der wohl kaum in die Popgeschichte eingehen wird, und die Band auf der Bühne heißt The Movement.

Es ist nicht allzu verwunderlich, dass es auch in Kopenhagen, wo sich die Herren Lukas Scherfig, Lars Schaedler und Steven Andersen zu The Movement zusammengetan haben, Menschen gibt, die sich in retrospektiver Ergebenheit geradezu sklavisch an einer Band wie The Jam und der Mod-Kultur orientieren: Von den flotten Gitarrenriffs über die satten Bläser, die Northern-Soul-Einflüsse und die Punk-Attitüde bis zur Überzeugung, dass man gut angezogen sein sollte, wenn man das System stürzen will, reichen die Parallelen.

Erstaunlich ist allerdings, dass eine Band wie The Movement im Jahre 2005 Clubs wie das Magnet zum Bersten füllt und in manchen Kreisen als Hoffnungsträger geschätzt werden. Erstaunlich ist, dass das Modtum, das schon antiquiert wirkte, als es erfunden wurde, heutzutage überhaupt noch jemanden interessiert – nach der Erfindung von Samplern, Designerdrogen, Elefantenhosen und DotCom-Blasen. The Movement würden darauf wohl antworten: So sehr haben sich die Zeiten gar nicht verändert. Die DotCom- Blase ist geplatzt und war eh nur ein besonders hässliche Eiterbeule des Kapitalismus, Bier schmeckt immer noch, über Klamottengeschmack kann man streiten. Und ob mit oder ohne Sampling, es gibt nur zwei Sorten von Musik: schlechte und revolutionär gute.

Im Falle von The Movement haben wir es eindeutig mit der zweiten Möglichkeit zu tun. Schließlich nennen sie ihr neues, zweites Album „Revolutionary Sympathies“ und eröffnen es mit einem Song namens „Karl Marx“, in dem auch noch Angela Davis, Friedrich Engels und Begriffe wie „Würde“ und „Geschichte“ eine Rolle spielen: „Can’t you see what’s going on her? Rebellion is the way of life“. Weiter geht es in „More Products“ mit dem Vorschlag, doch endlich mal den Hass zu globalisieren und die Freiheit wie ein Produkt zu vermarkten.

In ihrem Song „No Regrets“ tauchen „Genossen“ auf und Malerinnen, die voller Inbrunst die Arbeiterklasse abbilden, in „My Street“ wird die multikulturelle Vielfalt im Kopenhagener Kiez gefeiert. Weil der Revoluzzer aber noch mehr braucht als nur Revolte, darf er sich im Titelsong verlieben – aber natürlich in ein hart arbeitendes Mädchen, in dessen Gesicht nichts weniger als die ganze Güte der Menschheit leuchtet.

So korrekt wie ihre Anzüge, so sitzen auch die Ansichten von The Movement, die zu Hause natürlich auch Mitglieder in einem modtypischen Motorrollerklub sind. Ihre revolutionäre Roadshow mag eine Mischung aus Geschichtslektion und romantischer Reminiszenz sein, mag sich gar ständig an der Grenze zur eigenen Karikatur bewegen. Sie entwickelt dennoch – und das ist das wirklich Erstaunliche – auch heute noch eine zwar naive, aber doch begeisternde Kraft, wie man sie seit, ja ungefähr seit The Jam, nicht mehr gespürt hat. Oder seit Gil Scott-Heron, den sie sein berühmtestes Zitat zu Beginn ihres Albums noch einmal aufsagen lassen: „The revolution will not be televised, the revolution will be live.“

Wann auch immer sie kommt, wenn überhaupt, und wie auch immer die Revolution übertragen werden wird: Selbst live wird sie womöglich nicht viel spannender sein als The Movement.

The Movement: „Revolutionary Sympathies“ (Destiny/Aggropop/SPV)