„Man muss nicht alles im Leben ideologisch sehen“

Sie lachen über die „Müslis“, sie beerdigen in ihrem neuen Film die Antiatombewegung – und wählen im Herbst trotzdem die Grünen. Wie passt das zusammen? Ein Gespräch mit Schauspieler Peter Lohmeyer und Regisseur Lars Jessen

INTERVIEW SUSANNE LANG

taz: Herr Lohmeyer, eine Landkommune in ihren letzten Zügen, das Ende der Atomprotestbewegung in den 80ern – sieht aus, als hätten Sie den Film zum kollektiven Abgesang auf die Ära Rot-Grün gedreht?

Peter Lohmeyer: Oh nein. Für die Grünen ist es ideal, dass unser Film jetzt läuft.

Wie bitte?

Ein Vorurteil gegen die Grünen lautet ja: Ihnen fehlt der Humor. Das ist Quatsch. Viele Grüne mögen den Film, gerade weil man über absurde Dinge wie Schreirunden der „Müslis“ heute lachen kann.

Herr Jessen, also kein Abgesang?

Lars Jessen: Nein, wir versuchen eine Generation historisch einzuordnen. Das ist noch lange kein Beitrag zum Abgesang. Im Gegenteil, ich empfinde das rot-grüne Projekt überhaupt nicht als gescheitert. Es ist klar, dass es irgendwann wieder einmal einen Regierungswechsel geben wird, aber gerade dann ist es doch spannend, welche Werte und Inhalte überlebt haben.

Immerhin endet der Film damit, dass der Kommunenguru auswandert und der Sohn der Rebellion zur Bundeswehr geht.

Jessen: Wenn ein Bundeskanzler – und sei es aus Opportunismus – eine Wahl gewinnen kann, weil er sich gegen einen Krieg positioniert, beweist das doch, dass sich gewisse Werte wie Pazifismus gesellschaftlich etabliert haben. Manchmal habe ich das Gefühl, viele Leute aus dieser Generation schämen sich dafür, dass sie das alternative Leben beendet haben – das ist doch albern. Sie könnten viel mehr Selbstbewusstsein haben. Dies zeigt sich auch in Form von Selbstironie, mit der unser Film spielt.

Die SZ meinte dazu „nettes, biederes Fernsehfilmchen“ …

Lohmeyer: Echt?! Okay, wir haben nicht das Meisterwerk 2005 gedreht, aber einen ganz wichtigen Film. Die Deutschen sind so müde, ihre Vergangenheit zu beschreiben und wenn, dann stürzen sie sich auf das Dritte Reich. Über die 80er-Jahre, diese politische Zeit, gab es noch nie einen Film. Vielleicht nimmt ja eine Mutter ihren Sohn mit ins Kino und sagt, jetzt weißt du, warum du keinen Vater hast, so war das damals. Das wäre doch klasse.

Herr Jessen, Sie selbst haben mit Ihrer Mutter für einige Jahre in einer Kommune gelebt in den späten 70ern. Wie hat Sie das geprägt?

Ich habe gerade deshalb eine pragmatischere Sicht aufs Leben. Ich kann gern mal Bild-Zeitung lesen, trotzdem bin ich kein schlechter Mensch, versuche Langstreckenflüge zu vermeiden und ernähre mich gesund. Man muss nicht in allen Lebenssituationen alles ideologisch beantworten. Dieser schreckliche hypermoralische Alleinvertretungsanspruch verfolgt mich bis heute. Deswegen spielt auch die Serie „Dallas“ im Film eine große Rolle …

am Tag als Dallas-Held Bobby Ewing stirbt, ereignet sich im Film der GAU in Tschernobyl...

… über „Dallas“ spaltet sich die Kommune: die einen lieben die Serie, für die anderen ist sie „imperialistisches“ Schandwerk. Aber man kann Fernsehen einfach als Fernsehen nehmen, konsumieren. Ohne, dass vorher „Monitor“ läuft...

Sie beide haben selbst Kinder. Wie hoch stehen die Chancen, dass sie ins Gegenteil umschlagen und CDU wählen?

Lohmeyer: Viele 68er-Eltern haben die radikale Richtung zu sehr bedient. Man muss Kindern eine gewisse Offenheit mitgeben, versuchen, Dinge zu erklären, aber nicht zu dogmatisieren. Vorleben ist die beste Erziehung. Dann können die Kinder immer noch entscheiden, was sie wählen wollen.

Jessen: Ich persönlich habe mich anders entwickelt als der Film-Niels. Ich war zwar auch beim Bund, bin aber ein viel politischerer Mensch geworden, als er es jemals geworden wäre.

Herr Lohmeyer, Sie bezeichnen sich auch gerne als politischen Menschen. Was heißt das heute eigentlich?

Lohmeyer: Ich empfinde es schon als politisch, aufmerksam durchs Leben zu gehen. Denn dann kann man die Augen nicht verschließen vor bestimmten gesellschaftlichen Entwicklungen. Rechtsradikalismus zum Beispiel.

Jessen: Politisch sein, heißt eine Haltung zu haben.

Was resultiert aus ihr?

Lohmeyer: Die Entscheidung, diesen Film zu machen, zum Beispiel. Ich engagiere mich ja auch in Aktionen wie „Laut gegen rechts“. Die Frage ist doch immer, inwieweit man aktiv wird, auch Gewalt einsetzt und damit Menschen gefährdet oder eben wichtige Themen zur Diskussion bringt. Klar habe ich früher mal ein Ei auf einer NPD-Demo geschmissen, ich glaube aber nicht, dass es jemals ein Stein gewesen wäre.

Jessen: Unser Drehbuch für den Film hat sich nach dem 11. September 2001 sehr verändert, zuvor war es viel naiver, fast mit einem Aufruf zur Gewalt konzipiert. Jetzt wird diese Frage der Gewalt im Film diskutiert, und Niels wirft dann doch keinen Molotowcocktail. Andererseits hat genau jene Radikalität und Gewaltbereitschaft in Brokdorf zum erfolgreichen Atomausstieg beigetragen.

Inwiefern arbeiten Sie sich beide noch ab an 68?

Lohmeyer: Eigentlich gar nicht. Mit 68ern bin ich teilweise noch in evangelische Freizeiten gefahren, na ja … Ich komme ja aus einem sozialdemokratischen Elternhaus, dieses soziale Bewusstsein hat mich geprägt. Dann rutscht man vielleicht noch ein bisschen nach links …

Das heißt?

Sich zumindest auch dafür zu interessieren, was die PDS macht. Aber ich habe nichts aufzurechnen mit den 68ern. Im Gegenteil, die haben ja was bewegt. Auch wenn viele heute als Architekten oder Professoren mit Finka auf Mallorca leben …

Jessen: … oder als Filmförderer …

Lohmeyer: Genau. Das ist doch völlig in Ordnung. Immer diese Angst davor, Mainstream zu sein …

Mainstream, ein ganz böses Wort …

Lessen: Oh ja, gerade im Filmgeschäft. Dabei gibt es bei uns einen Mangel an gut gemachtem Mainstream. Oft wird der Begriff mit Mittelmäßigkeit verwechselt.

Lohmeyer: Ja ja, das ist diese Korrektheit, erst neulich bin ich von Spiegel-online-Kollegen angepisst worden, weil ich im Stadion bei Oli Kahn „uuuh aaah“ gebrüllt habe, die Affennummer – mit sechzigtausend anderen Fans. Na und! Als Fußballfan bin ich gerne unkorrekt.

Aber Sie haben Respekt vor der Leistung der 68er.

Lohmeyer: Wirklich anstrengend finde ich nur diese Müdigkeit. Wenn ich jetzt mit, sagen wir nem netten Professor Eis essen gehe, und der sagt dann, hat doch eh alles keinen Sinn, aber ich habe hier noch ein Alibi-Abo von der taz – das ist doch Quatsch. Gerade weil man in einflussreichen gesellschaftlichen Positionen angekommen ist, muss man sich einsetzen.

Um die Müdigkeit geht es in den letzten Tagen von Brokdorf im Film?

Jessen: Ja. Ich habe immer das Gefühl, die Leute aus der 68er Generation stehen unter einem permanenten Rechtfertigungsdruck: dafür, dass sie als Partei funktionieren, Kompromisse machen müssen. Dabei erwartet sich doch keiner von einer Regierungspartei, dass sie APO macht.

Will man überhaupt, dass Rot-Grün noch eine Chance bekommt?

Lohmeyer: Hmm, möchte man das?

Jessen: Ich ja. Die beiden Parteien sollen sich zusammenreißen und bedenken, wofür sie gewählt sind und wofür sie für Leute wie uns stehen.

Lohmeyer: Ich weiß gar nicht, was ich mir wünsche. Zum Glück sind wir ja nicht in Amerika, daher habe ich die Hoffnung, dass unsere Gesellschaft so weit ist, dass keiner radikal zurückrudern wird.

Welche Partei wählen Sie denn nun?

Jessen: Ich habe immer grün gewählt, obwohl ich nicht mit allen Regierungsentscheidungen einverstanden bin. Aber besonders in der Kulturpolitik ist es für uns wichtig, dass die Grünen mitmischen. Der neue CDU-Ministerpräsident in Schleswig Holstein hat als Erstes das Kulturministerium abgeschafft. Und Kulturpolitik war jahrelang nun auch nicht das Steckenpferd der SPD.

Wo bleibt das Aber?

Jessen: Na ja, vielleicht sind die Grünen etwas zu früh eingeknickt, dieser Atomausstieg ist nun auch etwas halbseiden, aber sie haben ihn hinbekommen. Immer noch besser, als draußen zu stehen und zu meckern.

Lohmeyer: Da gehe ich mit meinem Regisseur konform.

Auch Grünenwähler?

Ja. Obwohl meine Tochter nach der NRW-Wahl gesagt hat: „Papa, jetzt musste dann aber SPD wählen …“

Um die SPD zu retten?

Genau. Andererseits würde gerade die Opposition den Grünen bestimmt nicht schaden, dann müssten Sie nicht mehr so regierungskonform daher eiern.

Nonkonformistisch sind zur Zeit nur mehr Parteien wie die der Titanic oder von Christoph Schlingensief. Ist Satire die zeitgemäße Form von Protest?

Lohmeyer: Schlingensief versucht’s ja immer wieder. Ich erinnere mich nur an Fußballspiele, als der DFB im Stadion kritische Gesänge einfach mit lauter Ballermann-Musik überspielen ließ, weil das öffentlich-rechtliche Fernsehen übertragen hat – ich meine, diese Form von Zensur gab’s vor 50 Jahren! Proteste finden, wenn überhaupt, nur mehr im Kleinen statt.

Jessen: Vor allem sind sie so freudlos, uninspiriert.

Brokdorf steht dagegen für eine starke Protestkultur?

Jessen: Auf jeden Fall, 100.000 Leute damals in der Wilster Marsch, 20 Kilometer zu Fuß im Matsch – bei Eis und Schnee, Wahnsinn! Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen.

Lohmeyer: Wenn man heute ernsthaft kämpfen möchte für eine Sache, dann funktioniert das nur mit einem bestimmten Kulturanspruch, aus dem Umfeld kommt auch die größte Lust, der größte Witz. Was haben denn die Schreibtischpolitiker an Witz? Gar keinen.

Den Guidomobil-Spaßfaktor?

Lohmeyer: An Joschka Fischers Stelle würde ich mir jetzt wieder die Turnschuhe anziehen.

Jessen: Ja, das wäre super – aber bitte nicht wieder anfangen zu stricken.