Der Dandy und der Kumpel

Man sang mit und fühlte sich pudelwohl: Bei den Go-Betweens wusste man, was man haben würde. Nur nach ihrem Konzert im Columbia Club war man sich nicht mehr sicher, ob nicht ein anderes Konzert aufregender gewesen wäre

Vor der Konzerthalle stehen Feuerwehr- und Krankenwagen Schlange. Massen an Teens hüpfen herum in einem Patchwork-Look, wie man ihn nie zuvor gesehen hat, in einer Mischung aus Grufties-Style und Madonna in ihrer „Like a virgin“-Phase. Alle sind unheimlich aufgeregt, zeigen sich gegenseitig frisch erstandene T-Shirts und Konzertposter, einige kollabieren und verschwinden in den Krankenwagen.

Diese Szenen spielen sich natürlich direkt neben dem Konzert der Go-Betweens ab, in der ausverkauften Columbiahalle. Dir En Grey heißt die Band, die Berliner Teens so dermaßen in Ekstase versetzt. Dir En Grey – nie zuvor gehört – sei eine japanische Kultband, wird man informiert, machen Metal, sehen aus wie Untote aus einem Manga, voll der Wahnsinn, muss man kennen.

Dank Dir En Grey fühlt man sich also gleich noch etwas älter, nicht mehr auf dem Laufenden, als man gemächlich in den Columbia Club schlürft, um die Go-Betweens zu sehen, fraglos eine der tollsten Popbands aller Zeiten. Eine Band, mit deren Platten man schon viele Stunden verbracht hat, eine Band, die man heiß und innig liebt. Aber eben auch eine Band, von der man weiß, was einen erwartet und die überall dank ihres neuen, erneut superben Albums, „Ocean Apart“, als eine Art Fels in der Brandung gehandelt wird.

Wenn du nicht mehr kapierst, was an The Crips, The Rats, The Hits und wie die neuen jungen, aufregenden Bands alle heißen, so aufregend sein soll, und wenn du nicht das Gefühl hast, Maximo Park könnten dein Leben retten, dann, so wird dir im Feuilleton geraten, halte dich an die Go-Betweens. Da wisse man, was man habe.

Man scheint nicht der Einzige zu sein, der diesem Credo gefolgt ist. Obwohl es im Columbia Club so heiß ist, dass man das Gefühl hat, man könne in der hohlen Hand Spiegeleier braten, ist der Laden voll. Erstaunlicherweise setzt sich das Publikum aber nicht hauptsächlich aus ältlich gewordenen Indiepop-Menschen zusammen, die die erste Platte der Go-Betweens, „Send Me a Lullaby“ aus dem Jahr 1981, gekauft haben, als sie frisch erschienen ist. Nein, die Go-Betweens sind glücklicherweise keine Nostalgie- und Achtziger-Revivalband. Das mag auch daran liegen, dass die Go-Betweens-Köpfe Robert Foster und Grant McLennan seit ihrem Comeback Anfang dieses Jahrtausends Hilfe von Mitgliedern der hübschen und jungen Indieband Quasi bekamen.

Andererseits sind es natürlich noch immer Foster und McLennan, die den Mittelpunkt der Go-Betweens bilden. Die beiden sind aber auch wirklich ein herziges Duo. Foster mimt immer noch den Dandy und Gentleman, dem der Seitenscheitel niemals in Unordnung gerät. McLennan dagegen ist der hemdsärmelige Kumpeltyp, der im Supermarkt bestimmt noch nie als Popstar erkannt wurde. Aber die beiden gehören einfach zusammen, das merkt man. Jeder von ihnen hat es in den Neunzigern solo versucht, die Ergebnisse waren akzeptabel, doch so wie Johnny Marr und Morissey bei den Smiths das genialische Duo bildeten, sind auch Robert Foster und Grant McLennan geboren, um gemeinsam auf der Bühne zu stehen. Mal singt der eine, mal der andere, man weiß nie, was man besser finden soll: Fosters dunkel-melancholischen Ausdruck in seiner Stimme oder McLennan, der einem seine „Lalalas“ mitten ins Herz trällert. Jeder der Songs ist ein Hit, weil jeder Go-Betweens-Song ein Hit ist. Es gibt bei dieser Band keine schlechten, höchstens einmal nicht ganz perfekte Nummern. Man singt mit, fühlt sich pudelwohl, lauscht Lieblingsmusik ohne Ende.

Als man wieder draußen vor der Halle steht und sieht, wie weiterhin fleißig Mädchen in bizarren Outfits in Krankenwagen verladen werden, da ist man sich dann aber doch plötzlich nicht mehr so sicher, ob der Auftritt von Dir En Grey am Ende nicht aufregender gewesen wäre. Mögen die Go-Betweens wie ein guter französischer Film gewesen sein, möglicherweise waren Dir En Grey so, als hätte man alle sechs Folgen von „Stars Wars“ im Zeitraffer direkt hintereinander gesehen. ANDREAS HARTMANN