„Unser Nein schenken wir jetzt den anderen Europäern“

Das Referendum war nicht nationalistisch, sondern von Sorge um Europa getragen, sagt die einzige Neinsagerin der Grünen, Francine Bavay

taz: Madame Bavay, während Ihrer Kampagne gegen die EU-Verfassung waren Sie in Ihrer eigenen Partei ziemlich isoliert. Seit Sonntag ist klar, dass Ihre Position die Mehrheit der Franzosen hinter sich hat. Haben Sie einen so großen Erfolg erwartet?

Francine Bavay: Ich war überzeugt, dass das Non in Frankreich durchgehen würde, weil die Franzosen die wirtschaftsliberale Politik schon lange Leid sind. Zusätzlich hat mich bestärkt, dass sich die Franzosen heute als Europäer fühlen. Deswegen war es ihnen überhaupt möglich, mit Non zu stimmen

Sich europäisch fühlen – was bedeutet das?

Es bedeutet, für eine solidarische Politik mit den anderen Europäern einzutreten.

Glauben Sie, dass das auch im Ausland verstanden wird?

Das Non hat in Frankreich – und bei der französischen Linken – die Mehrheit hinter sich. Von unseren europäischen Freunden haben uns viele in der Kampagne geholfen. Wir haben zusammen einen europäischen Appell der Grünen für ein Non lanciert. Sie sind froh, dass unser Ergebnis ihnen nun erlaubt, in ihren Ländern Debatten zu organisieren.

Die größte grüne Partei, die deutschen Grünen, allerdings hat geschlossen für die EU-Verfassung gestimmt.

Das waren die Abgeordneten im Bundestag wie im Europaparlament. Aber die Partei „die Grünen“ hat kein internes Referendum organisiert. Wir französischen Grünen haben vorgeschlagen, ein europäisches Referendum in allen grünen Parteien zu organisieren. Ich bedauere, dass das nicht geklappt hat.

In dem Lager des Non sind auch rechte und vor allem rechtsextreme Wähler. Haben Sie keine Angst, mit denen in einen Topf geworfen zu werden?

Wissen sie, die Rechtsextremen sind schwächer geworden. Nicht sie haben die Kampagnen gemacht. Man muss einfach feststellen, dass das Non der Franzosen nicht nationalistisch ist. Das ist eine exzellente Nachricht. Es gab eine Bürgermobilisierung für den europäischen Aufbau.

Was soll nun passieren?

Es ist das erste Mal, dass sich Bürger Gedanken über die EU machen und sagen: Europa ist unser gemeinsames Gut. Unser Non schenken wir jetzt den anderen Europäern. Im Juni werden wir den europäischen Rat bitten, die Verfassung entsprechend umzuarbeiten.

Was wollen Sie an der Verfassung ändern?

Vor allem müssen die Bestimmungen verschwinden, die nicht in eine Verfassung gehören, also der komplette Teil III über die Politikbereiche der EU, außerdem muss Teil I ausgedünnt werden. Und die Charta der Grundrechte gehört komplettiert.

Nach dem Referendum ist nun von einer „schweren europäischen Krise“ und einer „Katastrophe der EU“ die Rede.

Als sich Chirac entschied, den Stabilitätspakt nicht zu respektieren, hätte man genau das Gleiche sagen können.

Das hat er zusammen mit Schröder gemacht.

Genau. Der Europäische Rat hat die Argumente von Frankreich und Deutschland gehört. Und zusammengebrochen ist nichts. Ich glaube, dass der Ruf der Franzosen nach einer anderen Verfassung gehört werden muss.

Wie finden Sie die bisherigen Reaktionen der Verfassungsbefürworter in Frankreich.

Ziemlich autistisch. Die Parteien könnten etwas mehr Respekt vor den Wählern zeigen. Stattdessen signalisieren sie: Nichts ist möglich. Aber Politiker, die sagen, dass sie nichts tun können, sollten den Job wechseln.

Präsident Chirac verspricht jetzt eine neue Regierung. Eine angemessene Reaktion.

Auch eine neue Regierung würde die liberale Politik nur fortsetzen. Was wir aber brauchen, ist ein Bruch mit dieser Politik – und vor allem einen echten Willen, Europa aufzubauen: kein Laisser- faire, sondern die Erfindung eines Raums von Solidarität.

Haben die Franzosen vor allem aus innenpolitischen Motiven entschieden?

Ich habe an die 100 Meetings überall im Land organisiert. Ich weiß, dass das Referendum kein innenpolitisches Votum war. Die Leute wollen ein anderes Europa.

INTERVIEW: DOROTHEA HAHN