Gewinner und Verlierer einer zukünftigen Steuerpolitik

Zwei Unionsprojekte zeichnen sich ab: Mehrwertsteuer rauf – Einkommensteuer runter. Es dürften vor allem die Besserverdienenden profitieren

BERLIN taz ■ Wer würde profitieren, wer verlieren? Noch äußert sich die Union nur vage über ihr Wahlprogramm, doch zwei Projekte sind zu erkennen: Erstens ist zu erwarten, dass die Mehrwertsteuer von jetzt 16 auf bis zu 20 Prozent steigt. Zweitens soll das „Konzept 21“ umgesetzt werden, das den Spitzensteuersatz von 42 auf 39 und den Eingangssteuersatz von 15 auf 12 Prozent absenkt. Bei diesen komplizierten Kompensationsgeschäften stellt sich sofort die Frage, wer sich freuen oder sorgen sollte.

Leider ist die Antwort kompliziert und ohne Zahlen nicht zu haben. Zunächst zum Rahmen: Bei einer erhöhten Mehrwertsteuer von 20 Prozent würden Bund, Länder und Gemeinden etwa 32 Milliarden Euro zusätzlich einnehmen. Das ist nicht so eindrucksvoll, wie es klingt. So kosten die rot-grünen Steuerreformen den Staat jährlich fast 60 Milliarden Euro, die an Bürger und Firmen verschenkt wurden. Die Löcher in den Staatskassen würden nur teilweise gefüllt.

Außerdem plant ja auch die Union neue Wohltaten. Dabei sind zwei Varianten denkbar. Sie entscheiden über die konkreten Verteilungswirkungen.

Variante I: Die Zusatzeinnahmen aus der Mehrwertsteuer werden genutzt, um die Sozialabgaben zu reduzieren. Momentan liegen sie bei etwa 42 Prozent, wenn man den Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteil zusammenrechnet. Diese Last könnte um rund 3 Prozentpunkte gesenkt werden.

Wer sich freuen kann? Ganz klar: die Arbeitnehmer. Alle Konsumenten zahlen die erhöhten Mehrwertsteuern, aber nur die Beschäftigten sparen bei ihren Sozialversicherungen. Dabei profitieren vor allem die kleineren Einkommen. Denn sie zahlen tatsächlich die ganzen 42 Prozent der Sozialabgaben. Bei den Besserverdienenden sorgen die Beitragsbemessungsgrenzen dafür, dass nicht das gesamte Gehalt für die Sozialkassen herangezogen wird.

Um ein Missverständnis zu vermeiden: Die Arbeitgeber dürften von den gesenkten Beiträgen nur kurzfristig profitieren. Denn niedrigere Sozialabgaben würden höhere Tarifabschlüsse ermöglichen.

Nun zu Variante II: Die Mehrwertsteuererhöhung wird verwendet, um die Einkommensteuer weiter zu senken. Wie viel das den Staat kosten würde, ist momentan unklar: Das „Konzept 21“ stammt vom März 2004 und ist teilweise überholt. Denn damals wollte die CDU den Spitzensteuersatz gar auf 36 Prozent senken – nach dem Streit mit der CSU erhöhte man auf 39 Prozent. Doch trotz dieser Korrektur bleibt eine Zahl unverändert: Unverdrossen erinnert die Union daran, dass die Bürger insgesamt um 10,6 Milliarden Euro entlastet würden.

Wer profitiert? Grob gesprochen alle Konsumenten, die Einkommensteuern zahlen. Der Rest hat das Nachsehen. Allerdings gibt es auch bei den Steuerzahlern diverse Gruppen, die von der Reform nicht viel hätten.

Offensichtlich ist der Fall der Krankenschwestern: Um die gesenkten Einkommensteuern zu finanzieren, sollen Sonntags-, Feiertags- und Nachtzuschläge abgebaut werden. 1,1 Milliarden Euro würden den SchichtarbeiterInnen entgehen, haben die Grünen errechnet.

Doch eigentlich stellt sich eine viel fundamentalere Frage: Wer führt noch Einkommensteuern ab? Bei einem Jahreseinkommen von 25.000 Euro, zum Beispiel, zahlt ein alleinverdienender Familienvater mit zwei Kindern nur noch 628 Euro Steuern jährlich. Bei 40.000 Euro Jahresgehalt sind es 4.000 Euro Steuern – genauso viel bekommt er an Kindergeld zurück.

Von sinkenden Einkommensteuern profitieren vor allem Großverdiener und Singles – der Rest zahlt kaum noch direkt an den Staat. Das fällt vielen nicht auf. Denn indirekt werden sie immer stärker belastet, vor allem durch die Sozialbeiträge, die seit der Wiedervereinigung stark gestiegen sind.

Sollte sich die Union für Variante II entscheiden und die Mehrwertsteuer erhöhen, um die Einkommensteuer weiter zu senken, dann würden Familien und Geringverdiener besonders belastet, damit Millionäre noch weniger zahlen. Variante I wäre da sozialer, die Mehrwertsteuer zu nutzen, um die Sozialbeiträge zu senken. Doch das beste Angebot steht auch bei der Union nicht zur Wahl: die rot-grüne Reform zu korrigieren und die Spitzensteuersätze kräftig anzuheben. ULRIKE HERRMANN