Stoiber schlägt zu

VON HANNES KOCH

Feige ist die Union ja nicht. Edmund Stoiber (CSU), möglicher Wirtschafts- und Finanzminister einer schwarz-gelben Bundesregierung, sagte gestern deutlich, wer bluten muss, falls die Union die Bundestagswahl gewinnt. Zum Beispiel Beschäftigte, die steuerfreie Zuschläge für Arbeit an Sonn- und Feiertagen sowie Nachtschichten erhalten. Diese Zuschläge sollen laut Stoiber innerhalb von sechs Jahren auslaufen.

Insgesamt würden die betroffenen Arbeitnehmer dadurch rund 1,1 Milliarden Euro mehr Steuern zahlen. Die individuellen Einbußen pro Kopf und Monat könnten von wenigen Euro bis zu dreistelligen Beträgen gehen (siehe unten). Für Stoiber ist das Teil einer groß angelegten Steuerreform, deren Grundzüge die Union 2004 in ihrem „Konzept 21“ niedergelegt hat. Die Sätze der Einkommens- und Gewinnsteuern sollen sinken, um die Bürger und Unternehmen zu entlasten. Damit der Staat freilich nicht bankrott geht, will die Union im Gegenzug viele Subventionen und Vergünstigungen streichen oder vermindern. Neben den bislang steuerfreien Zuschlägen auf den Lohn nannte Stoiber die Entfernungspauschale und die Eigenheimzulage.

Um nicht als Partei der unsozialen Umverteiler dazustehen, hat sich die Union zur Rechtfertigung eine interessante Argumentation zurechtgelegt. Man verweist darauf, wann die steuerfreien Zuschläge eingeführt wurden. Das war genau am 1. November 1940 mit der Veröffentlichung im Reichssteuerblatt. Nach dem siegreichen Krieg gegen Frankreich und dem bevorstehenden Angriff auf Russland herrschte in den Fabriken großer Bedarf an Arbeitskräften rund um die Uhr, um Geschütze, Panzer und Flugzeuge zu fertigen. Durch die Steuerfreiheit der Zuschläge wurden die harten Arbeiten, unter anderem in der Rüstungsindustrie, attraktiver. Vor diesem Hintergrund sei doch einzusehen, heißt es nun bei Union, dass diese Regelung nicht mehr in die heutige Zeit passe – ein alter Zopf, den man ruhig abschneiden könne.

Mit Hitlers Kriegen freilich bringen die heutigen Beschäftigten ihre Bezahlung nicht mehr in Verbindung. Zuschläge für Nacht- und Sonntagsarbeit sind üblich in der Metallindustrie, in Druckereien und vielen Branchen, die früher zum öffentlichen Dienst gehörten oder noch gehören: Nahverkehr, Krankenhäuser, Kraftwerke, Flugsicherung. Vom Deutschen Gewerkschaftsbund und der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di kommt denn auch ein klares „Nein“ zu den Plänen der Union. Begründung bei Ver.di: Die Steuerfreiheit sei ein gerechter Ausgleich für die Gesundheitsbelastung, die etwa mit permanenter Nachtarbeit einhergehe.

Ökonomen finden die Aufhebung der Steuerfreiheit nicht grundsätzlich falsch, stellen aber Bedingungen. „Das müsste man im Aufschwung machen“, sagt Gert Wagner vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Nur dann hätten die Gewerkschaften aufgrund einer größeren Verhandlungsmacht die Chance, höhere Löhne als Kompensation der steuerlichen Einbuße durchzusetzen. Dieser Ausgleich sei sinnvoll, so Wagner, denn zur Zeit leide die Wirtschaft ja gerade unter der mangelnden Nachfrage der Beschäftigten.

Für Gustav Adolf Horn vom gewerkschaftlich orientierten Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) wäre es nur dann sinnvoll, die Steuervorteile zu beseitigen, wenn sich die Tarifparteien langfristig darauf einstellen könnten. Die Regierung müsse gerade den Gewerkschaften die Chance geben, rechtzeitig über einen Lohnausgleich zu verhandeln, so Horn.

Ähnlich wie bei der Mehrwertsteuer – Erhöhung oder Nichterhöhung? – hat die Union nun ein Problem, bei dem die rot-grüne Regierung und die SPD prima einhaken können. SPD-Chef Franz Müntefering kritisierte gestern Stoibers „zynischen Umgang“ mit den Arbeitnehmern. Auch das sonst immer auf Einsparungen bedachte Bundesfinanzministerium (BMF) hält im Falle der steuerfreien Zuschläge gar nichts von einer Kürzung. „Das würde die Falschen treffen“, heißt es im BMF .