Allerlei Affektiertheiten und ein Affront

Hatte er selbst nicht alle Formen der Erniedrigung und Beleidigung zu inszenieren gewusst? Zwei Abende an der Volksbühne feierten den Regisseur Rainer Werner Fassbinder, der jetzt 60 Jahre alt geworden wäre: Gut, dass im Rangeln um die Deutungshoheit auch ein paar Filme zu sehen waren

VON DETLEF KUHLBRODT

Am 31. Mai wäre Rainer Werner Fassbinder 60 geworden. Die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz würdigte den Münchner Filmemacher mit zwei von Katja Diefenbach und Stephan Geene „kuratierten“ Abenden, wie es auf dem Programmzettel hieß, als handle es sich um eine Kunstausstellung. Das zahlreich erschienene Publikum war etwas älter als sonst. Der erste Abend begann mit einem interessanten Affront. Volker Spengler, der in neun Fassbinder-Filmen dabei gewesen war und in dem wunderbaren „Jahr mit 13 Monden“ die tragische Hauptrolle gespielt hatte, verlas den Brief, den ihm Geene und Diefenbach geschrieben hatten, um ihn zur Teilnahme an der Geburtstagsveranstaltung zu bewegen.

Entsprechend gelesen wirkten die skizzenhaften Überlegungen von Geene und Diefenbach, die genauso auf dem Programmzettel standen, aufgeblasen und lächerlich: „Fassbinders Energie für das Kaputtgehen speist sich aus seinem romantischen Antikapitalismus, aus dem Glauben, dass wir etwas verloren haben. Vor der Nacht war das Licht der Liebe.“ Effektheischende Pause. Dann noch einmal. Weil’s so schön lyrisch war. Spengler sprach den ersten Teil des Satzes – „Vor der Nacht …“ – und forderte die Zuschauer auf, mit dem zweiten Teil zu antworten. Was diese auch taten und sich damit auf seine Seite schlugen. All die schönen Sätze, die sich die VeranstalterInnen ausgedacht hatten, gab der 65-jährige Schauspieler der Lächerlichkeit preis – „Fassbinders negative Energie kam aus dem Willen, die geile Abfahrt des Enfant terrible zu nehmen“ oder: „Kein Schwulenfilm, sondern die Gesellschaft homosexualisieren.“

Der schwergewichtige Schauspieler tippte sich an die Stirn und murmelte „Mit 25 schon Apo-Opas.“ Kaum hatte der Abend begonnen, war also der Kaiser, der meinte, sich so hübsch angezogen zu haben, schon nackt. Nur war es kein kleiner Junge, der darauf hingewiesen hatte, sondern ein großer Schauspieler, und der Kaiser war auch nicht, sagen wir, Castorf, sondern es waren Geene und Diefenbach, die sich in den letzten Jahren mit ihren B-Books-Montagsveranstaltungen zwar einen gewissen Stand erarbeitet haben, im Statusranking aber eher unter Spengler anzusiedeln sind – und außerdem hatte der, der da seine Gastgeber so sehr beleidigte, die Einladung angenommen, was gemeinhin die Verpflichtung hätte mit sich bringen müssen, höflich zu sein. Für einen Moment dachte man, es handle sich um eine bewusste Inszenierung. Zu gut passte seine Beleidigung zu einem Abend über den Filmemacher, der ein so feines Gespür für Macht und Ohnmacht hatte und so hervorragend alle möglichen Formen der Erniedrigung und Beleidigung zu inszenieren wusste.

Ein bisschen tat einem Stephan Geene leid, der seinen frei gehaltenen Vortrag mit vielen „wie auch immer“ begann. Der Anfangseklat, eine schroffe Behauptung der Deutungshoheit letztlich, führte auch dazu, dass man das, was Katja Diefenbach dann erzählte, gleich wieder vergaß bzw. unter Jargon abhakte. Danach berichtete die Filmemacherin Margit Czenki von wilden Tagen im München der späten 60er. Czenki war dadurch berühmt geworden, dass sie vor 34 Jahren aus politischen Gründen eine Bank überfallen hatte und deshalb sechs Jahre lang im Gefängnis saß. Ihr Sohn Ted Gaier spielt bei den Goldenen Zitronen. Sie erzählte von der „High-Fish-Kommune“, von der linken Krautrockband Amon Düül, vom aktionistischen Theatermachen, von Lehrlingskommunen usw. Dieser ganze 68er-Scheiß eben, den man schon tausendmal gelesen und gehört hat. Als ein Zuschauer ihren sentimental ausufernden Vortrag unterbrach, verließ sie zunächst beleidigt die Bühne, kehrte dann aber nach diversen Liebesbeweisen des Publikums wieder zurück. Daraufhin redete der Allroundprofessor Diedrich Diederichsen über Fassbinder und Warhol, nicht ohne in einem Nebensatz noch kurz das angebliche antiintellektuelle Ressentiment von Spengler kritisiert zu haben. Es ging darum, dass auch Fassbinder Chef einer Art Factory gewesen war und Anfangs quasi einen Film in einer Woche gedreht hatte.

Diederichsens Vortrag war ganz gut. Nicht ganz einleuchten wollte allerdings die Gegenüberstellung von Masochismus und Erhabenem, weil beides letztlich das Gleiche ist. Seltsam, dass kaum erwähnt wurde, dass Fassbinder eben vor allem Nachkriegsregisseur gewesen war, komisch, dass andere große deutsche Autorenfilmer wie Achternbusch nicht vergleichsweise erwähnt wurden, geschweige denn Lothar Lambert, der ja immer noch fassbindermäßig dreht, oder dass niemand über den sozialen Ort sprach, von dem aus Fassbinder seine Filme machte. Überhaupt scheint ja ein Hauptmerkmal der Post-68er-Linken zu sein, dass sie Klassenfragen ausblenden und so tun, als wäre ein jeder seines eigenen Glückes Schmied. So schleppte sich der Abend dahin mit symptomatischem Unsinn, eingesprengselten Richtigkeiten und allerlei Affektiertheiten. Sehr schön nur ein veralbert-sexorientierter Ausschnitt eines Films des fassbinderorientierten Filmkollektivs „Hangover Ltd“.

Der zweite Fassbinder-Abend, diesmal im Roten Salon, begann ähnlich wie der erste. Nur war es diesmal Jürgen Kuttner, der die Einladung noch einmal zur allgemeinen Gaudi verlas. Danach zeigte der einbeinige Beatnik Lord Knut Musikclips aus Fassbinder-Filmen und rezitierte kindliche Haschgedichte. Interessant, dass Günter Kaufmann so ähnlich gesungen hat wie Jim Morrison. Später kam wieder Spengler dazu, und beide machten sich noch einmal über Geene und Diefenbach lustig. Dann wurde „Ein Jahr mit dreizehn Monden“ gezeigt. Großartig und traurig. Um zwölf sollten alle zusammen mit Spengler „Happy birthday, lieber Rainer“ singen. Was einige dann auch taten.