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Im Literarischen Colloquium Berlin wurde das Programm das 29. Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs präsentiert

Gerhild Steinbruch und Susanne Heinrich stoßen altersmäßig in Benjamin-Lebert-Dimensionen vor

Das Schöne und gleichzeitig Brutale an Klagenfurt und dem Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb besteht darin, dass hier die Wiederkehr des Immergleichen mit Hingabe zelebriert wird – das gibt Halt in wie üblich bewegt-unübersichtlichen Zeiten, das birgt aber auch die Gefahr der Verwechslung und Beliebigkeit: War das jetzt 2000? Oder 2004? Oder gar in den Achtzigerjahren? Und so erinnert auch die traditionell im LCB in Berlin stattfindende Programmvorstellung des Wettbewerbs – eine überflüssige Veranstaltung, der man trotzdem immer wieder gern beiwohnt – schwer an „Und täglich grüßt das Murmeltier“.

Wie jedes Jahr war wieder eine große Klagenfurter Abordnung erschienen, dann ein Verantwortlicher des mit dem ORF kooperierenden deutschen Fernsehsenders 3sat, der das Wettlesen live überträgt, und schließlich die Juryvorsitzende Iris Radisch und zwei Jurykollegen, Norbert Miller und Burkhard Spinnen.

Die einen sprachen wieder von der Wichtigkeit des in diesem Jahr zum 29. Mal stattfindenden Wettbewerbs für Klagenfurt, und wie schön die Stadt am Wörthersee doch sei. Die anderen betonten seine Wichtigkeit für die deutschsprachige Literatur, und wie schön es sei, dass es im zunehmend literaturfreien Fernsehen noch so eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Literatur gebe. Wie üblich im Schnelldurchlauf verlesen wurden die beteiligten Autoren und Autorinnen, doch Wissenswerteres und alles andere den Wettbewerb Betreffende konnte man sowieso besser dem ausgelegten Programmheft entnehmen. Immerhin, das lässt sich beim Studium der Namen und Biografien leicht feststellen, hat es selten so wenige bekannte Gesichter gegeben wie in diesem Jahr.

Klaus Böldl und Anne Weber sind die vielleicht etabliertesten Autoren, gefolgt von den zuletzt mit Buchveröffentlichungen bekannt gewordenen Martina Hefter und Julia Schoch. Der große Rest aber hat bevorzugt in Literaturzeitschriften, Internetforen und Anthologien veröffentlicht, und selbst die 1957 geborenen Autorinnen Barbara Bongartz und Gabriele Petricek dürften nur Eingeweihten bekannt sein. Was natürlich auch für die beiden Youngster des Wettbewerbs gilt, beide altersmäßig fast in Benjamin-Lebert-Dimensionen: für die Grazerin Gerhild Steinbuch, Jahrgang 1983, die trotzdem schon eine beachtliche Auszeichnungsliste hat. Und für die Leipzigerin Susanne Heinrich, Jahrgang 1985, die zuletzt in Hildesheim beim Prosanova-Festival weniger durch ihre Schülerzeitungsprosa beeindruckte als durch ihr vorgeblich selbstbewusstes Auftreten. Der Dumont-Verlag, der im Herbst Heinrichs ersten Roman „In den Farben der Nacht“ veröffentlicht, bezeichnet sie als heiße Anwärterin auf einen der ersten Preise, was sich ja für einen zu seiner Autorin treu und fest stehenden Verlag auch so gehört; im Restbetrieb wiederum hält man große Stücke auf den Hamburger Kristof Magnusson, der im Herbst ebenfalls seinen Debütroman mit dem Titel „Zuhause“ vorlegt.

Der diesjährige Wettbewerb könnte mit so vielen No-Names ein interessanter werden, allerdings mit völlig offenem Ausgang: Von der guten Qualität des Vorjahrs bis zu einem äußerst miesen Jahrgang ist da alles möglich. Doch so viel Ungewissheit ist auch für das Klagenfurter Bachmann-Lesen nicht das Schlechteste. GERRIT BARTELS