Der Ball ist bunt
: Brennpunkt Bolzplatz

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Seit 10 Jahren ist Alexander Degeer Kreisliga-Schiedsrichter. Vor zwei Wochen geriet der 27-Jährige in Deutz zwischen die Fronten. In der Nachspielzeit ging der Gast in Führung. Nach dem Schlusspfiff brüllte ein Spieler: „Du Hurensohn, Wichser“. Vor der Umkleidekabine rissen ihn Spieler zu Boden, schlugen ihn und traten ihm in die Nieren. Degeer blieb liegen bis Rettungswagen und Polizei eintrafen. Im Krankenhaus wurden Prellungen und Blutergüsse diagnostiziert. Ein ähnlicher Fall beim Pfingstturnier in Solingen: Schiedsrichter André Durst zeigte die gelbe Karte, wurde beleidigt und angerempelt. Als der Spieler die rote Karte sah, schlug er Durst ins Gesicht. Die Partie wurde abgebrochen.

„Die Hemmschwelle der Spieler, gewalttätig gegen Kollegen oder Schiedsrichter vorzugehen, ist merklich gesunken“, so der Kölner Schiedsrichter-Obmann Helmut Friebertz. Besonders betroffen sind Spieler zwischen 15 und 18 Jahren. Allein im Kreis Köln gab es in dieser Saison rund 130 Platzverweise gegen Jugendkicker. Aber auch Senioren liefern sich Schlägereien. Von 628 Platzverweisen gegen Kölner Seniorenkicker wurden im Jahr 2004 knapp ein Drittel wegen Beschimpfungen und Übergriffen gegenüber Schiedsrichtern ausgesprochen. Ein besonderes Merkmal der Statistik: Migranten sind überproportional beteiligt.

Im Kreis Köln sind fast zwei Drittel aller Spieler nicht aus Deutschland. „Wenn wir die Ausländer nicht hätten, könnten wir den Spielbetrieb in Köln einstellen“, sagt Friebertz. Seit Jahren versuchen die Fußball-Spruchkammern, die Lage in den Griff zu bekommen. Manfred Knoch ist Vorsitzender der Spruchkammer im Kreis Solingen. In dieser Saison zählte er 30 Vorfälle, allein 18 im Mai zum Ende der Meisterschaft. Auch hier sind überwiegend Migranten betroffen. „Fast 90 Prozent von ihnen sind der Meinung, sie haben nichts getan. Die haben einfach kein Unrechtsbewusstsein. Sie haben das Gefühl, man will ihnen was“, sagt Knoch.

Zu einem differenzierten Ergebnis kommt der Kölner Politologe Hans-Georg Lützenkirchen. Im Auftrag des Fußball-Verbandes Mittelrhein befragte er Trainer und Betreuer zur Gewalt im Fußball. Viele begründen das auffällige Verhalten der Migranten mit der Mentalität sowie dem Hang zu größerer Emotionalität. Nach Ansicht von Lützenkirchen bestätigen diese Aussagen jedoch Vorurteile – auf beiden Seiten.

Denn umgekehrt fühlten sich Migranten von den Schiedsrichtern benachteiligt. Vor allem hätten sie das Gefühl von deutschen Trainern weniger eingesetzt zu werden, obwohl sie oft bessere Leistungen als ihre deutschen Mitspieler zeigen würden. Deshalb bildeten sich in den Kreisligen immer mehr ausländische Vereine. Hinzu kämen gezielte Provokationen von beiden Seiten. „Angesichts schlechterer Gesellschaftschancen ist für Migranten der Sport inzwischen ein wichtiges Mittel, um sich Respekt und Anerkennung zu erwerben“, sagt Hans-Georg Lützenkirchen. Letztlich sei die Gewalt auf dem Spielfeld ein Spiegel der Gesellschaft. Zu diesem Schluss kommt auch Schiedsrichter-Obmann Helmut Friebertz. „Solange es soziale Brennpunkte in den Städten gibt und immer mehr Geld im sozialen Bereich zusammengestrichen wird, solange werden wir dieses Problem haben.“

Der Kölner Schiedsrichter Alexander Degeer lässt sich nicht entmutigen: Er möchte, sobald er wieder gesund ist, wieder aufs Spielfeld – selbstverständlich ist das nicht. „Immer häufiger resignieren Unparteiische im Kreis Köln vor der Gewalt“, sagt Obmann Friebertz. FARID GARDIZI

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