Video zeigt Massaker von Srebrenica

Serbische Regierung lässt mutmaßliche Kriegsverbrecher verhaften, nachdem ein von ihnen selbst gedrehter Film die Erschießung gefangener Männer 1995 zeigt. Chefanklägerin des Kriegsverbrechertribunals lobt Belgrads Durchgreifen

AUS SARAJEVO ERICH RATHFELDER

Als die Nachrichten des bosnischen Fernsehens einen Film über Srebrenica ankündigen, horcht Nura Alispahić auf. Die schwer Diabeteskranke wollte sich gerade eine Insulinspritze setzen. Doch sie stellt den Apparat lauter. Als Überlebende des Massakers von 1995 interessiert sie natürlich alles, was über Srebrenica berichtet wird. Auf den Bildern sind serbische Soldaten zu sehen, die gefesselte Männer zu einem Graben führen, um sie zu erschießen. Plötzlich schreit Nura auf. Sie sieht ihren Sohn, den damals 16-jährigen Azmir, unter den Gefangenen. Und sie sieht, wie er erschossen wird.

Der Jugendliche war am 11. Juli 1995 von seiner Mutter getrennt und dann abgeführt worden. Nachforschungen der Kommission für Vermisste in Bosnien und Herzegowina fanden 1999 die Leiche in einem Massengrab, der Kopf war vom Körper abgetrennt. Es gelang durch langwierige Untersuchungen, die Identität Azmirs festzustellen.

Jetzt bestätigt der Film, dass Azmir noch kurz vor dem Friedensschluss von Dayton vier Monate in einem Gefangenenlager verbrachte, ehe er nahe Trnovo erschossen wurde. Die Mörder filmten dieses Verbrechen selbst: Ein orthodoxer Priester segnet sie und fordert sie auf, die „Feinde“ zu vernichten, Zivilisten werden aus einem Lkw geschubst, müssen über eine Wiese kriechen, ein Serbe tritt mit dem Stiefel einem Opfer gegen den Kopf, Berge von Leichen. Insgesamt starben beim Srebrenica-Massaker rund 8.000 Bosnier muslimischen Glaubens.

Das Video war am Mittwoch erstmals vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag als Beweismaterial im Verfahren gegen Serbiens Expräsidenten Slobodan Milošević gezeigt worden. Danach weltweit im Fernsehen. Serbiens Regierung entschloss sich zu einer Blitzaktion. Schon am Donnerstagmorgen wurden die Mitglieder der paramilitärischen Einheit der so genannten Skorpione, Pera Petrašević und Alexandar Medić, in der Stadt Sid festgenommen. Ein dritter Mittäter ist noch nicht gefasst, doch elf weitere Personen sollen inzwischen verhaftet worden sein.

Die Skorpione sind als eine serbische paramilitärische Einheit bekannt, die innerhalb der militärischen Befehlsstrukturen agierte. Ihr werden auch Verbrechen in der kroatischen Stadt Vukovar 1991 und in der bosnischen Region um Brčko während des bosnischen Krieges 1992–95 zur Last gelegt.

Der serbische Ministerpräsident Vojislav Koštunica bezeichnete die Tat als „schockierend und grauenhaft“. Es sei für die serbischen Behörden wichtig gewesen, sofort zu reagieren, erklärte er am Donnerstag bei einem Treffen mit der Chefanklägerin des Den Haager Kriegsverbrechertribunals, Carla del Ponte, in Belgrad. Und die lobte denn auch die Aktion der serbischen Behörden.

Bisher hatte sie in scharfen Worten Belgrads mangelnde Zusammenarbeit mit dem Kriegsverbrechertribunal verurteilt. Nach wie vor fordert sie die Verhaftung des Oberkommandierenden der bosnisch-serbischen Truppen, Ratko Mladić, und des politischen Führers der bosnischen Serben, Radovan Karadžić. Beide leben im Untergrund.

In Bosnien selbst sind die Reaktionen verhaltener. In Sarajevo zeigten sich viele Menschen schockiert über die Bilder, kritisierten aber die serbischen Behörden, die seit langem über das Massaker an wahrscheinlich 8.000 Männern in Bosnien Bescheid gewusst hätten. Diese würden erst reagieren, wenn die Beweise nicht mehr zu leugnen seien. Aus diplomatischen Quellen heißt es dagegen, Serbien reagiere endlich wegen des diplomatischen Drucks im Zusammenhang mit der Aufnahme von Gesprächen über eine mögliche EU-Mitgliedschaft.

In den Kommentaren bosnischer Zeitungen wird noch auf einen anderen Aspekt hingewiesen: Kurz vor dem 10. Jahrestag des Massakers von Srebrenica am 11. Juli werde die serbische Öffentlichkeit psychologisch auf eine Aktion gegen die beiden Hauptangeklagten Mladić und Karadžić vorbereitet. Dazu gehöre auch ein kürzlich in serbischen Medien ausgestrahlter Film über die Korruption von Karadžić. Andere Stimmen bleiben skeptisch. Denn bisher ist nach Umfragen die Mehrheit der serbischen Bevölkerung in Serbien und Bosnien gegen eine Auslieferung der Kriegsverbrecher.