Beistand im Gefühlschaos

Der Hamburger Hospiz-Verein bildet ehrenamtliche Sterbebegleiter aus. Trauerrituale, Kommunikationstraining und medizinische Grundlagen stehen auf dem Lehrplan. Zugleich sammeln die Teilnehmer Praxiserfahrung bei Ärzten

„Jeder Sterbebegleiter muss sich auch mit eigenen Verlusten konfrontieren lassen“

von Sebastian Bertram

Der Raum im Erdgeschoss des Altonaer Helenenstifts strahlt eine andächtige Atmosphäre aus. Trotz der Nachmittagssonne, die durch die Fenster scheint, flackert in seiner Mitte eine große Kerze. Einmal im Monat trifft sich hier Angela Reschke vom Hamburger Hospiz-Verein mit Menschen, die sie im Umgang mit Sterbenden anleitet. Von Schwermut ist dann keine Spur. Es sind nämlich mitunter die ganz praktischen Fragen, welche die Teilnehmer bewegen: Etwa, ob Kirchen auf dem Land vor Beginn eines Trauergottesdienstes ihre Türen früher geöffnet haben als in der Stadt.

Die meisten in der Runde haben die einführende Schulung zur ambulanten Sterbebegleitung bei Hospiz e. V. bereits absolviert und können von ersten eigenen Erfahrungen berichten. Reschke, gelernte Heilpraktikerin und Diplom-Psychologin, betreut derzeit zwei dieser „Fortbildungseinheiten“, wie die Lehrerin die Treffen nennt. „Wer die erste Schulungsphase abgeschlossen hat, muss danach kontinuierlich weitergebildet werden“, betont sie, „denn konkrete Fragestellungen ergeben sich erst in der Praxis.“

Um genau einschätzen zu können, wie die Sterbebegleiter im ambulanten Hospizdienst am besten eingesetzt werden können, möchte Reschke selbst die Entwicklung der insgesamt 20 Teilnehmer auch nach Schulungsende weiter verfolgen. Die für Sterbebegleiter unverzichtbare Supervision überlässt sie darum nicht externen Fachkräften, sondern bietet sie selbst an.

Der Grundstein für die enge Zusammenarbeit zwischen ihr und den Lerndenden wird deshalb bereits zu Schulungsbeginn gelegt. „Um das Gefühlschaos bei sterbenskranken Menschen und deren Angehörigen erfahrbar zu machen, soll sich jeder Sterbebegleiter auch mit eigenen Verlusten konfrontieren lassen“, erläutert die Psychologin ihr Konzept. Das müsse nicht unbedingt ein Todesfall sein. Schon die Erinnerung an einen erzwungenen Schulwechsel in der Kindheit reiche aus, um dem Gefühl nachspüren zu können.

Während viele Sterbebegleitungskurse ein ganzes Jahr dauern, beträgt die Schulungszeit bei Reschke nur dreieinhalb Monate. Das Programm aus insgesamt 50 Unterrichtseinheiten hat es dafür in sich: Neben faktischen Grundlagen – etwa die Rolle der Sterbebegleitung im Gesundheitswesen oder eine Einführung in pflege- und krankenversicherungstechnische Aspekte – werden individuelle Notfallpläne erarbeitet sowie Krankheitsbilder und Schmerztherapien vorgestellt. Ein Kommunikationstraining bereitet die Kursteilnehmer auf die Begegnung mit den Patienten vor. Aufgeteilt in Arbeitsgruppen erörtern sie zudem Abläufe von Trauer- und Abschiedsritualen.

Angesichts möglicher unbewältigter Lebenskonflikte von Patienten stehen auch die Themen Liebe und Vergebung auf dem Lehrplan. Darüber hinaus bereitet Reschke die Helfer auf den praktischen Umgang mit Leichnamen vor sowie auf die Betreuung der Angehörigen. „In erster Linie bringe ich meinen Ehrenamtlichen aber bei, einfach nur Mensch zu sein“, sagt Reschke. „Und da der Mensch nun mal Fehler macht, müssen die Kursteilnehmer lernen, diese zu erkennen und zu bearbeiten.“

Deshalb ermöglicht sie den Teilnehmern, bereits vor Abschluss der Schulung erste Erfahrungen mit sterbenskranken Menschen zu sammeln: Bei regelmäßigen Besuchen in Arztpraxen bekommen sie die Gelegenheit, mit Betroffenen zu sprechen und mit ihnen in Kontakt zu treten. „Die Ärzte und Schwestern sind froh, dass sich jemand um die Patienten kümmert“, berichtet eine Kursteilnehmerin, die sich in einer onkologischen Praxis engagiert. „Und für mich ist es wunderbar, so etwas kennen zu lernen.“