Wahrscheinlich endgültig erwachsen geworden

Rot-Grün, wir danken dir (8): Jede Generation braucht wohl das Gefühl, mal am Ruder gewesen zu sein – Schröder/Fischer boten diese Erfahrung

Wenn im Herbst die Regierung Schröder/Fischer tatsächlich durch ein Kabinett Merkel/Westerwelle abgelöst werden sollte (gelaufen ist die Sache ja noch nicht), wird die Zeit der ersten Regierung zu Ende gehen, mit der ich mich sozusagen reflexartig identifiziert habe. Viele scheinen jetzt zu hoffen, mit einer neuen Regierung werde alles, alles wieder gut. Es wird aber nie alles, alles wieder gut, und in der Politik sowieso nicht. Man muss eh weitermachen und weiterwursteln. („Wir geben nicht auf. Wir fangen noch einmal an“, heißt es in Lars Gustafssons Romanzyklus „Die Risse in der Mauer“, und diese Maxime ist vielleicht das Wichtigste, was von den 70er-Jahren übrig geblieben ist). Die bleibenden Leistungen der rot-grünen Kabinette von 1998/2005 werden erst im zeitlichen Abstand einigermaßen gerecht zu beurteilen sein.

Was jetzt schon bleibt und wofür ich zu danken habe, ist dieses Gefühl der generationellen Übereinstimmung mit einer Regierung, die Gewissheit, jetzt seien „wir“ dran und „unsere“ am Ruder. Das war eine neue Erfahrung für mich. Wahrscheinlich ist es das letzte Stadium des Erwachsenwerdens gewesen. Vielleicht braucht das jede Generation mal. Ich jedenfalls habe es gebraucht und kann mich gelassen auf etwas Neues einstellen. Diese sieben Jahre lang waren meine Leute an der Regierung. Endlich gehörte eine Gruppe, die ich unwillkürlich „wir“ nenne, auch mal zum Establishment.

So viele Figuren meiner längst verdrängten Jugend in Regierungspositionen im Fernsehen zu sehen, war ein Gefühl, von dem ich vorher gar nicht gedacht hätte, wie schön es ist. Klaus Uwe Benneter zum Beispiel, der irgendwann in meinen marxistisch verkorksten 70er-Jahren die „Stamokap-Theorie“ in der SPD vertrat. So hieß die um 1975 allgegenwärtige Welterklärungs- und Erlösungsformel, der auch ich mich verschrieben hatte. Egon Bahr schmiss ihn 1977 aus der Partei. Jetzt ist Benneter so etwas wie Bahrs Nachfolger. „Wie dünn der damals war“, dachte ich jedes Mal, wenn ich ihn im Fernsehen sah, unwillkürlich gerührt. Benneters Juso-Chef-Nachfolger Schröder war damals schon seltsam erfolgs- und fast geheimnisumwittert. Jetzt ist er der erste Bundeskanzler meiner Republik gewesen, über den ich sieben Jahre lang vor dem Fernseher dachte: Mein Gott, wie wenig Haltungsfehler der macht, wie gut man ihn vorzeigen kann. An solchen Reflexen merkte ich, dass mein Unterbewusstsein ihn längst adoptiert hatte.

Und natürlich Joschka Fischer. Als ich in der Frankfurter Jordanstraße drei Häuser von der Buchhandlung entfernt wohnte, die er gegründet hat und wo ich die wichtigsten Bücher meiner Philosophie-Bibliothek gekauft habe, war er schon in der Landesregierung, aber man sah ihn noch bei Demonstrationen und Wahlversammlungen. Jeder ärgerte sich aus irgendwelchen Gründen über ihn, damals in den 80er-Jahren. Aber wir waren alle zugleich auf eine merkwürdige Weise stolz auf ihn. Diesen Stolz habe ich vor dem Fernseher seit 1998 oft wiedererkannt, und er wird sich auch nicht ganz verlieren, wenn im Herbst die Regierung Schröder/Fischer tatsächlich durch ein Kabinett Merkel/Westerwelle abgelöst werden sollte. Ohne schwerere Hysterieanfälle zusehen zu können, wie die Regierung meiner Generation aus dem Amt geht, gehört auch zu der Gelassenheit, die mir die vergangenen Jahre politisch-lebensgeschichtlich gebracht haben. STEPHAN WACKWITZ