Feige vor dem Freund

AUS BERLIN ERIC CHAUVISTRÉ

Wenn heute in Brüssel die Verteidigungsminister der Nato zusammenkommen, werden sie sich zwischendurch mal flugs zur „Nuklearen Planungsgruppe“ erklären. Die Minister hören sich dann einen drögen Sachstandsbericht an. Nach 30 Minuten dürfte die lästige Routine beendet sein. Dabei hatte Verteidigungsminister Peter Struck vor ein paar Wochen noch versprochen, es diesmal ein wenig interessanter zu machen. Er sei sich mit Außenminister Joschka Fischer darüber einig, das Thema der US-Atomwaffen in Europa „in den Gremien der Nato“ anzusprechen, hatte Struck Anfang Mai bei einem Besuch auf dem US-Stützpunkt Ramstein erklärt. Dem Vernehmen nach hat die Bundesregierung das Thema aber nicht auf die heutige Tagesordnung setzen lassen.

Dagegen gibt es nun sanften Widerspruch auch aus den eigenen Reihen. Vertreter von SPD und Grünen erklärten gestern, bei der heutigen Sitzung müsse es auch um die US-Atomwaffen in Europa gehen. Die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth forderte im Gespräch mit der taz Struck indirekt auf, den Atomwaffenabzug bei der Nato zur Sprache zu bringen. „Die Tagung der Nuklearen Planungsgruppe macht es möglich, sich noch einmal sehr klar für den Abzug aller amerikanischen Atomwaffen aus Europa einzusetzen.“ Dafür wolle sie Struck „den Rücken stärken“. Gerade nach dem Scheitern der Atomwaffenkonferenz wäre es „ein notwendiges und konstruktives Signal“, wenn die Bundesregierung klar mache, dass „in der Stationierung von Atomwaffen kein Sinn mehr gesehen wird“. Der grüne Fraktionsvize und Verteidigungsexperte Winfried Nachtwei fordert darüber hinaus eine explizite Ankündigung, „dass man aus der technischen nuklearen Teilhabe aussteigen will“.

Auch der SPD-Außenpolitiker Weisskirchen erklärte, die Frage der Atomwaffen solle im Rahmen der Nato „weiter thematisiert werden“. Dabei müsse der Konsens innerhalb der Nato gesucht werden. Der SPD-Abrüstungsexperte Rolf Mützenich erklärte, er gehe davon aus, das die Bundesregierung den Abzug der Atomwaffen „im Rahmen ihrer Möglichkeiten und entsprechend ihrer Ankündigung“ innerhalb der Nato-Gremien bespreche. Dort gelte es auch, zu überlegen, inwieweit Russland bei taktischen Nuklearwaffen Abrüstungshilfe angeboten werden könne.

Für die FDP-Bundestagsfraktion, die im April einen Antrag mit der Forderung nach Abzug der US-Atomwaffen in den Bundestag eingebracht hatte, erklärte ihr sicherheitspolitischer Sprecher Günther Nolting, er halte die Nukleare Planungsgruppe „für das geeignete Forum“. Bei der Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages habe sich die Bundesregierung für eine Stärkung der nuklearen Abrüstung ausgesprochen. „Hier kann die Regierung nun zeigen, ob sie das, was sie nach außen hin proklamiert, ernst meint.“ Auch nach einem eventuellen Regierungswechsel, so Nolting, werde die FDP zu der Forderung nach dem Abzug der US-Atomwaffen stehen.

Außenminister Fischer dürfte die Debatte an eine bittere Niederlage zu Beginn seiner Amtszeit erinnern. Im November 1998 hatte er einen Abschied vom atomaren Ersteinsatz in der Nato-Doktrin gefordert – war aber bald vom Koalitionspartner zurückgepfiffen worden. Eine entsprechende Forderung tauchte dann im zweiten rot-grünen Koalitionsvertrag 2002, anders als im Regierungsprogramm von 1998, nicht mehr auf. Diesmal ließ der Kanzler wohl Struck und Fischer frühzeitig wissen, dass auf ihre großen Ankündigungen nichts folgen soll. Durch die Forderung nach einem Atomwaffenabzug will sich Gerhard Schröder offenbar nicht seinen Auftritt Mitte Juni bei Präsident George W. Bush in Washington vermasseln lassen. „Wegen der 20 Dinger in Büchel“, so wird Schröder zitiert, „verkrache ich mich doch nicht mit den Amis.“