neuwahl 05: sieht die ikea-republik deutschland schon schwarz-gelb?
: Die Nervösen helfen jedem, der zahlt. Doch die Politik soll dem Guten dienen

taz-Serie: Die Hungrigen, die Satten & die NervösenSie sind die Milieus der Mitte. Politisch flexibel, materiell leidlich abgesichert, treffen sie sich bei Ikea an der Kasse – und im September an der Wahlurne. Einst machten sie Schröder zum Kanzler, doch wo stehen sie zur Neuwahl 05? Ein Stimmungstest, ehe der Kampf um Stimmen beginnt.Heute Teil III: Die Nervösen – warum junge Berater im Job der Atomkraft dienen, im Herzen aber mit den Grünen zittern Gestern Teil II: Die Satten – wie rot-grün denkt der deutsche Lehrer?Davor Teil I: Die Hungrigen – finden junge Praktikanten unter der neuen Regierung ihren ersten echten Job?

So schnell kann es gehen: Keine drei Jahre ist es her, da verschwand mit dem Hype um die New Economy auch Maltes erster Job als IT-Consultant. Der Politologe landete beim Arbeitsamt, machte sich schließlich selbstständig. Inzwischen hat er für sich die 7-Tage-Arbeitswoche eingeführt, das Geschäft läuft fast zu gut. Heute in Berlin, morgen in Wien, übermorgen in London berät der 32-Jährige die Großen der Telekombranche. Eine Karriere, wie sie sich FDP-Strategen kaum hübscher ausmalen könnten. Malte allerdings lacht beim Namen Westerwelle spontan auf.

Von „diesem Neoliberalismus pur“ hält er nichts. Dann schon lieber die Gegenseite. „Klar, die PDS-Leute sind keine Profis, die werden nicht groß was reißen“, sagt Malte. Trotzdem sollten ihre Ansichten im nächsten Bundestag vertreten sein: „Jemand muss doch klar machen, dass auch eine andere Haltung möglich ist zu den wichtigen sozialen Fragen.“

Für die „Heuschrecken“ schuften, Tagessätze kassieren, von denen Alg-II-Empfänger mehrere Wochen leben müssen – aber gleichzeitig mit der sozialistischen Alternative sympathisieren. Wenn der Kunde auf Atomstrom setzt – bitte! Service ist ein Muss. Doch von der Politik erwarten sie Haltung.

Carsten zum Beispiel. Vor einem Jahr nach dem BWL-Studium fing er bei einer Beratungsfirma in München an – Abteilung Chemieindustrie. Mehr Marktfreiheit, weniger Rücksicht auf die Umwelt, wäre das der richtige Kurswechsel? „Kompletter Unsinn“, sagt der 27-Jährige. Gerade als Berater sehe er, warum der Wirtschaft klare Grenzen gesetzt werden müssten. Wer in die Beraterbranche einsteigt, bekommt zwar meist viel Geld, aber selten eine Garantie, dass er nicht selbst bald als Etatbelastung gilt. Der Nachwuchs ist auf Flexibilität gepolt, kennt die Wunschzettel der Konzerne – und glaubt dennoch nicht unbedingt an die wirtschaftspolitische Heilskraft einer schwarz-gelben Wende.

Das Konzept gegen die Arbeitslosigkeit habe doch ohnehin keiner in der Schublade, sagt Carsten. Deshalb sei ihm das „Bauchgefühl“ wichtiger – das beim Gedanken an die wertkonservative CDU spürbar zur Übelkeit tendiert. Und ein Votum, das „mein Gewissen ein bisschen tröstet“. Grün also? „Die sollten wenigstens als starker Gegenpol im Bundestag vertreten sein.“

Auch Christopher gehörte 1998 zur Mehrheit, die fand: „Der Dicke muss weg!“ Heute, mit 30, fehlt der Argumentation des Strategieberaters das Ausrufezeichen. Nüchtern grast er die Politikfelder ab. Christopher traut einem schwarz-gelben Kabinett allenfalls in der Gesundheitspolitik und beim Bürokratieabbau mehr zu. Dafür sei das Personalangebot von CDU und FDP „wenig charmant“, Merkel habe ja nicht mal Regierungserfahrung. Auch die „Naivität“, mit der Schwarz-Gelb über soziale Probleme rede, schreckt ihn ab. Bleibt’s also beim Votum für Rot-Grün? „Mal sehen“, sagt Christopher und es klingt ziemlich nach: Ja. Für ihn sei Wählen eben noch kein politisches Shopping.

Marc, 30, Berater für die Energiebranche, sieht das schon eher so. Ja, er hat 1998 Kohl abgewählt, aber „da war ich noch klein“. Inzwischen hält Marc die Grünen wirtschaftspolitisch für „Bremser“, sieht Schwarz-Gelb nicht mehr als „Horrorvision“.

Warum er trotzdem erwägt, wieder SPD zu wählen? Mit der Union, fürchtet Marc, hole man sich Dogmatismus von rechts an die Macht. Er hingegen setzt auf flexible Entscheider, die sich – wie Schröder – an kein Parteicredo mehr gebunden fühlen. Und Marc argumentiert ideologisch mindestens ebenso flexibel. Nur die SPD habe den nötigen Draht zu den Gewerkschaften, um harte soziale Einschnitte durchzuziehen. Schwarz-Gelb müsse hingegen mit einer Boykottstimmung in der Gesellschaft rechnen und vermutlich bald kapitulieren. Die SPD als verlässlichste Kraft für den Sozialabbau – die Linke dürfte das Kompliment mit Grausen vernehmen. Oder doch nicht? Schließlich könnte auch Marcs Stimme am Wahlabend die entscheidende sein.

ASTRID GEISLER