Widerstand gegen Guantánamo wächst

In den USA fordern immer mehr Kommentatoren und Politiker die Schließung des Internierungslagers. Selbst Präsident Bush will eine Auflösung nicht ausschließen. Das Lager auf Kuba gilt auch Republikanern als zutiefst unamerikanische Einrichtung

AUS WASHINGTON MICHAEL STRECK

Noch vor wenigen Tagen schien es, dass der völlig unverhältnismäßige Vergleich von amnesty international über das Internierungslager Guantánamo mit dem sowjetischen Gulag der US-Regierung in die Hände spielen würde. Einhellig verurteilten ihn die Zunft der Kommentatoren. Präsident Bush wies ihn schlicht als „lächerlich“ ab und glaubte die parteiübergreifende Empörungsfront auf seiner Seite.

Doch die dadurch wieder aufgeflammte Debatte über die Gefangenenbehandlung der USA im Allgemeinen und die auf dem Militärstützpunkt Guantánamo im Besonderen entfaltete eine neue Dynamik. Der Gulag-Vergleich weckte nicht nur die patriotischen Instinkte der Amerikaner. Er spülte auch die angestaute tiefe Abneigung vieler, „die Verachtung“ gegen diese zutiefst unamerikanische Einrichtung, wie Anne Applebaum in der Washington Post schreibt, in die Öffentlichkeit und verursachte den Dammbruch: „Schließt das Lager“, forderten plötzlich Kolumnisten, Expräsident Jimmy Carter, Demokraten und Republikaner im Schulterschluss.

Präsident Bush, der am Mittwoch während eines TV-Interviews gefragt wurde, ob das Lager dicht gemacht werden sollte, hatte auf einmal seine Standfestigkeit verloren, äußerte sich zwar nicht direkt, jedoch schwammig genug, um Anlass für Spekulationen zu geben. „Wir prüfen alle Alternativen in Bezug auf unser vordringlichstes Ziel, nämlich Amerika zu schützen.“ Das klang wie „schon möglich“. Damit überrumpelte er seinen Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, der noch wenige Stunden zuvor felsenfest behauptete, dass eine Schließung nicht beabsichtigt sei.

Der Geist ist jedoch aus der Flasche, und es sieht nicht so aus, als ob er dorthin rasch zurückkehren wird. Denn für eine wachsende Zahl von Meinungsmachern, Politikern und Experten ist Guantánamo zu einem irreparablen Schandfleck vor allem in der arabischen Welt geworden, der in Amerikas Kampf gegen den Terrorismus nur noch kontraproduktiv ist und gedemütigte Muslime in die Arme von Fanatikern treibt. Da helfen weder die Beteuerungen des US-Militärs, alle Häftlinge human zu behandeln, oder weitere gut gemeinte Untersuchungen, die zu Tage fördern sollen, dass es sich bei Fehlverhalten allenfalls um Einzelfälle handelt. Zu lang ist einfach die Vorwurfsliste über Misshandlungen systematischer Natur.

Kaum war das Lager errichtet, hagelte es heftige Kritik von entlassenen Gefangenen und Menschenrechtsorganisationen über Haftbedingungen und Verhörmethoden. Über „folterähnliche“ Behandlungen informierte das Rote Kreuz das US-Militär nach eigenen Inspektionen. Schwere Vorwürfe erhoben Agenten der US-Bundespolizei FBI in geheim gehaltenen Berichten an die Regierung.

Berichte über Koranschändungen taten in jüngster Zeit ihr Übriges, auch wenn es sich hierbei tatsächlich nur um Fehltritte einiger Soldaten handeln sollte.

Selbst wenn in Guantánamo kein Koran entweiht und kein einziger Häftling gequält worden wäre, hatte die Bush-Regierung ihren gern vertretenen moralischen Führungsanspruch in der Welt mit der rechtswidrigen Konstruktion des Lagers von Anfang an eingebüßt. Die derzeit noch 540 Häftlinge aus über 40 Nationen sind seit zwei Jahren ohne Anklage oder Zugang zu Anwälten interniert. Die US-Regierung verweigert ihnen den Status als Kriegsgefangene und deklarierte sie zu illegalen „feindlichen Kämpfern“.

Um diesen auch in den Augen von moderaten Republikanern unhaltbaren Zustand zu klären, hat Arlen Specter, Vorsitzender des Rechtsausschusses im Senat, für kommende Woche Anhörungen einberufen. Steigt der Druck auf Bush auch aus den eigenen Reihen, sei nicht auszuschließen, dass in Guantánamo die Lichter ausgehen, sagt Brad Berenson von der konservativen Denkfabrik American Enterprise Institute und Befürworter des Lagers. Damit wäre immerhin das Negativsymbol beseitigt. Sorge um Internierungskapazitäten muss sich Bush allerdings nicht machen. Es gibt mittlerweile genug Lager zwischen Irak und Afghanistan, die obendrein ungestörter und verborgener operieren.