Frauen im Feuer

AUS KURGAN-TEPPE PETER BÖHM

Sie sieht ihn manchmal in der Stadt und dann zuckt sie zusammen. Sie hat immer noch Angst vor ihm. Sie erzählt weinend von diesem Mann, der sie fast dazu brachte, sich zu verbrennen. Ihrem Ehemann.

Saida Raschidowa* ist 26 Jahre alt und trägt ein Kopftuch, aber nicht streng ums Gesicht gespannt, sondern locker vom Kopf herabfallend. Sie hat ein ebenmäßiges, rundliches Gesicht mit Lachgrübchen in den Wangen, und ihre weiten Kleider verhüllen kaum ihre fülligen Formen. Sie dehnt die Worte, als sie erzählt. Es ist eine Geschichte, die aus einer anderen Zeit zu stammen scheint, als Menschen noch einen puren Gebrauchswert darstellten.

Sie lebt in Kurgan-Teppe, einer Stadt mit 65.000 Einwohnern in der ehemaligen Sowjetrepublik Tadschikistan in Zentralasien. Am Tag ist Kurgan-Teppe ein Provinzstädtchen mit überfülltem Basar und geschäftigen Straßen. Plattenbauten prägen das Straßenbild und am Rand ein Industrieviertel mit Fabriken, in denen kaum noch jemand arbeitet. Auf dem Rasen rund um das Wahrzeichen der Stadt, einem orientalisch-bauchigen Aussichtsturm, und in einem Vergnügungspark mit verfallenden Schiffsschaukeln gehen Paare spazieren.

Saida Raschidowa erzählt: „Im Sommer 2003 hatte ich erfahren, dass mein Mann eine zweite Ehefrau hat und sie einen gemeinsamen Sohn haben. Aber unserer Familie brachte er kaum Lebensmittel nach Hause. Mit einem Liter Speiseöl sollten wir zwei Monate auskommen. Deshalb haben wir gestritten. Mein Mann hat gesagt: ‚Nein, ich habe kein Geld.‘ Aber ich wusste, er hatte der zweiten Frau gerade eine Wohnung gekauft.“

Sie hat Kerosin aus der Küche geholt und Streichhölzer und zu ihrem Mann gesagt: „Na, wenn das so ist, dann werde ich mich anzünden.“ Darauf er: „Lass dich nicht aufhalten. Mir ist das egal.“ Sie ist zur Toilette gegangen. „Aber als ich ein Streichholz anzünden wollte, hörte ich meinen jüngsten Sohn draußen schreien, und als ich die Tür aufmachte, standen da meine vier Kinder und haben geweint.“

Solche Fälle sind in Zentralasien nicht selten. Nach Angaben der Kurgan-Tepper Staatsanwaltschaft, die für den gesamten Südwesten Tadschikistans zuständig ist, gab es dort vergangenes Jahr 23 Selbstverbrennungen. Doch der Arzt und Psychologe Davron Muhamedow, der seine Doktorarbeit über dieses Thema geschrieben hat, sagt, dass den Behörden viele Fälle nicht gemeldet werden. Nach seiner Schätzung gibt es in Tadschikistan jährlich mindestens 100 Fälle, und auch Frauenorganisationen in den Nachbarländern Usbekistan und Afghanistan gehen davon aus, dass es in ihren Ländern jährlich zwischen 50 und 100 Selbstverbrennungen von Frauen gibt.

„Meistens ist es eine Mischung aus Selbstmordversuch und dem Willen, die Familie zu bestrafen, die sie so schlecht behandelt hat“, sagt die Leiterin des Frauenzentrums in Kurgan-Teppe, Mawdschuda Scharifowa. Dort bekommen Frauen wie Saida Muhamedowa psychologischen und rechtlichen Beistand. Doch Raschidowa sagt: „In diesem Augenblick wollte ich sterben. Wenn ich früher von Frauen gehört habe, die so etwas getan haben, dachte ich immer, die sind verrückt. Aber mit einem solchen Leben wie dem meinen konnte ich sie sehr gut verstehen.“

Zur schlimmsten Zeit des tadschikischen Bürgerkrieges, im April 1993, kontrollierten schon die Regierungsmilizen Kurgan-Teppe, aber niemand kontrollierte sie. Sie raubten und plünderten, und sie suchten nach jungen Mädchen, vor allem nach jenen aus dem Clan, der der Opposition nahe stand, dem Clan Saida Raschidowas. Sie war damals 14 Jahre alt. Ihr Vater berichtet über diese Zeit: „Wir haben sie Murat* zur Frau gegeben. Was sollten wir denn machen? Mit meinen eigenen Augen habe ich gesehen, wie Mädchen damals vergewaltigt und auf die Straße geworfen wurden.“ Murat nahm Saida mit nach Hause, ließ einen Mullah kommen und heiratete sie.

„Von Anfang an habe ich Murat gehasst. Er ging morgens weg und kam erst spät in der Nacht zurück. Während er weg war, hat er mich in der Wohnung eingesperrt. Erst als ich meinen zweiten Sohn bekam, hat er manchmal die Tür offen gelassen.“ Manchmal habe sie drei, vier Monate das Haus nicht verlassen.

Murat ist ein „neuer Tadschike“. So nennt man hier die Oligarchen, die nach dem Zerfall der sozialistischen Wirtschaft schnell ans große Geld gekommen sind. In der alten Zeit arbeitete Murat in einer Fabrik, aber während des Bürgerkrieges war sein Bruder einer der mächtigsten Kommandanten Kurgan-Teppes. Als der Bruder Hoteldirektor wurde, so lautet eine der stadtbekannten Geschichten über ihn, verkaufte Murat dort 300 Teppiche. Heute hat er ein großes Geschäft. Von Lebensmitteln bis zur Elektronik ist dort alles zu haben.

„Er hat mich oft geschlagen“, sagt Saida Raschidowa. „Einmal, als seine zweite Frau bei uns angerufen hat, so schlimm, dass ich bewusstlos wurde. Ich war gerade schwanger. Ich bin erst aufgewacht, als der Notarzt zu uns kam und mir mit einem Spatel den Mund aufhebelte.“

Gewalt ist in vielen Familien in Zentralasien nichts Außergewöhnliches. Nach der Umfrage eines usbekischen Regierungsinstituts betrachten über 60 Prozent der Frauen in diesem Land Gewalt in der Ehe als „normale Situation“. Und das Frauenzentrum in der nordtadschikischen Stadt Chudschand hat eine Umfrage veröffentlicht, in der 91 Prozent der Befragten Gewalt in den Familien als bekanntes Phänomen angaben.

„Das muss nicht zwangsläufig immer physische Gewalt sein“, erklärt der Psychologe Davron Muhamedow. „Bei uns ziehen die neu verheirateten Frauen in den Haushalt des Mannes. Manchmal sind sie die zweite oder dritte Ehefrau. Alle schicken sie herum und schikanieren sie. Und Kerosin gibt es in jedem Haushalt. Von Schlaftabletten oder einer anderen Art sich umzubringen wissen diese Frauen nichts.“

Im vergangenen Jahr hat sich Saida Raschidowa von ihrem Mann getrennt. Solange sie niemand nach ihrer Ehe fragt, lacht sie viel. Mit Hilfe des Frauenzentrums hat sie das Sorgerecht für ihre fünf Kinder erstritten sowie einen kleinen Unterhalt und eine bescheidene Wohnung. Wenn jemand auf ihre Kinder aufpassen kann, arbeitet sie als Aushilfskraft in einem Café. Aber das Geld reicht nicht.

Als sie ihren Mann verließ, fragte ihr Vater, warum sie nicht eher erzählt hat, wie sie litt. „Aber sie sagte: ‚So werden doch Frauen erzogen‘ “, berichtet ihr Vater. Die Eltern leben noch immer in der alten Kolchose, zwei Kilometer außerhalb der Stadt. Eine löchrige Straße, so breit wie ein Feldweg, führt dorthin.

„Saida will wieder zu ihrem Mann zurückgehen“, erzählt ihr Vater mit einem Kopfschütteln. „Ja, ich bin bereit, wieder zurück zu meinem Mann zu gehen“, bestätigt sie später selbst und lacht verlegen. Sie weiß, dass das verrückt klingt. Aber sie meint es ernst: „Wegen der Kinder. Wenn meine Eltern tot sind, wer unterstützt sie dann? Sie müssen doch essen und eine Erziehung bekommen. Alles das kostet Geld.“

* beide Namen geändert