Einig, radikal und bündnisfähig

Symbolische Siege reichen nicht im Kampf gegen NPD und DVU. Längst gibt es ein rechtspopulistisches Protestmilieu, zu dem weder Eliten noch Institutionen Zugang haben

Die Mehrheitsgesellschaft muss ihre Diskursfähigkeit in der Kneipe und im Jugendclub beweisen

Die Diskussionen um Neuwahlen, um das Ende von Rot-Grün und um die künftige Kanzlerin Angela Merkel haben die Rechtsextremisten aus den Schlagzeilen verdrängt. Vor einem Monat noch drohte ein symbolträchtiger Neonazi-Marsch durch die Mitte Berlins, die NPD stand im Mittelpunkt der Berichterstattung zum 60. Jahrestag des Kriegsendes und begann, mit der DVU und Kameradschaften eine rechte Volksfront zu schmieden.

Der kurzatmigen medialen Skandalisierung folgt wieder einmal langatmiges Schweigen. Die Zivilgesellschaft ist zufrieden, die Politik lehnt sich zurück. Schließlich blieb die NPD bei den Wahlen in NRW unter einem Prozent. Genauso wichtig schien, dass die NPD zuvor am 8. Mai auch die symbolische Schlacht um den „Tag der Befreiung“ verloren hatte. Zehntausende Berliner verhinderten eine Nazidemonstration vorbei am Holocaust-Mahnmal zum Brandenburger Tor. Frustriert zogen 3.000 Rechte wieder ab.

Ein symbolischer Sieg, der im Alltag wenig nützt. Die neonazistische Szene wird radikaler und militanter, politikfähiger und professioneller. Sie bewegt sich in einem Umfeld, in dem weder Ausländerfeindlichkeit noch die Wahl der neonazistischen Parteien tabuisiert sind. Den öffentlichen Raum, der am 8. Mai in Berlin mit großem Aufwand blockiert wurde, haben NPD-Anhänger in großen Teilen Ostdeutschlands längst für sich erobert. Und nicht nur dort.

NPD, DVU, Kameradschaften und Skinhead-Cliquen sind vielerorts kommunale Akteure. Sie prägen Subkulturen, bestimmen politische Diskurse. Für die politische Mobilisierung benutzen sie Aktionsformen, die bisher typisch für die Linke waren. Sie setzen auf Provokation und Tabubruch, auf symbolische Aktionen und kalkulierten Rechtsbruch – und erreichen damit ein rechtspopulistisches Protestmilieu, zu dem weder Politiker noch gesellschaftliche Eliten oder zivilgesellschaftliche Institutionen Zugang haben. Das gilt auch für die linke ostdeutsche Protestpartei PDS.

Alle traditionellen Mechanismen der sozialen Integration versagen – denn es gibt nichts zu verteilen, weder Arbeit noch wohlfahrtsstaatliche Leistungen. Die Menschen in den Milieus, auf die NPD und DVU setzen, fühlen sich ausgegrenzt, sie misstrauen den Eliten. Die Diskurse der Mehrheitsgesellschaft erreichen sie nicht, die Medien gelten als unglaubwürdig. Zivilgesellschaft? Ein Fremdwort.

Die Bundestagswahlen kommen zu früh für die Rechtsextremen: Die rechte Volksfront ist organisatorisch und strategisch nicht vorbereitet. Zudem hat die NPD mit ihren „Bombenholocaust“- und „Schuldkult“-Kampagnen zwar die Zivilgesellschaft provoziert, aber nur den harten Kern der rechten Szene mobilisiert. Längst diskutieren die Kameraden deshalb über einen Strategiewechsel: weg von der Vergangenheitsfixierung hin zu nationalrevolutionärem Protest gegen Hartz IV, die EU und die Zuwanderung. Vorbild ist die NPD-Kampagne zu den Sachsenwahlen im September vergangenen Jahres. Dort habe sich gezeigt, welches Potenzial sich auf der Straße und in den Wahlkabinen mobilisieren lässt.

Die Neonazi-Szene ist keine Ansammlung von sich bekriegenden Möchtegernführern mehr. Sie ist bündnisfähig geworden – und einig über den gemeinsamen Feind: den Staat, die Systemparteien, die Lügenpresse. Munter gerieren sich die Kameraden als Opfer, als verfolgte Avantgarde, als Märtyrer. Die NPD fühlt sich angesichts der „gesellschaftlichen Pogromstimmung“ gar an die „Kauft nicht bei Juden“-Kampagne der Nazis erinnert. Kein Ausrutscher, sondern kalkulierte Provokation.

Vieles an dieser sozialen Bewegung von rechts erinnert zumindest der Form nach an die Anfänge der Alternativbewegung und die Gründungsphase der Grünen. Damals stritten wertkonservative Ökologen, K-Grüppler und Autonome über die System- und die Gewaltfrage – und klagten gemeinsam über die Hetze der Springerpresse und die Ignoranz der Gesellschaft. Natürlich ging es damals um völlig andere Dinge. Die von der Mehrheitsgesellschaft ignorierte Ökologiefrage stimulierte eine neue soziale Bewegung.

Heute gibt die Politik keine Antwort mehr auf die soziale Frage. Eine politische Vertretungslücke ist entstanden, die auch von rechts besetzt wird. Nicht emanzipatorisch, sondern rückwärtsgewandt, nicht als Bewegung eines alternativen Bürgertums, sondern von Unterprivilegierten. Es wäre jedoch falsch, diese Entwicklung als ostdeutsches und damit als Übergangsproblem abzutun. Längst finden sich auch im Westen vielerlei Anzeichen für eine ähnliche Entwicklung. Auch dort versagen die Integrationsmechanismen, sind die Bindungen an die Zivilgesellschaft extrem brüchig.

Politik und Gesellschaft stehen der Entwicklung hilflos gegenüber. 150 Millionen Euro wurden seit 2001 in die Stärkung zivilgesellschaftlicher Strukturen, für den Kampf gegen Rechtsextremismus und ausländerfeindliche Gewalt investiert. Viel Geld, mit dem sich die Zivilgesellschaft zwar selbst bestätigt, dessen Wirkung aber verpufft, weil die Kommunikationsbrücken ins rechtspopulistische Protestmilieu abgerissen sind.

Es wird höchste Zeit, neue Wege zu beschreiten. Die NPD muss weiter isoliert werden. Aber die Gesellschaft muss zugleich neue Integrationspotenziale mobilisieren und sich den Menschen zuwenden, die die Neonazis erfolgreich rekrutieren. Das ist eine Gratwanderung, denn es bedeutet, die Menschen ernst nehmen, ohne ihnen nach dem Mund zu reden. Fest steht: Neue Arbeitsplätze und ein paar Fördergelder reichen nicht.

Vieles an der sozialen Bewegung von rechts erinnert der Form nach an die Anfänge der Grünen

Die Gesellschaft muss gegenüber den rechtspopulistischen Milieus eine neue Kultur der Anerkennung und neue gesellschaftliche Identifikationsmöglichkeiten entwickeln. Dazu gehören Volksentscheide und Bürgerbegehren. Zudem müssen Kommunikationsbrücken wieder hergestellt werden. Nicht in den Medien, auf wohlfeilen Veranstaltungen und Demonstrationen von Gutgesinnten, sondern auf dem Sportplatz, in der Eckkneipe und im Jugendclub muss die Mehrheitsgesellschaft ihre Diskursfähigkeit zurückgewinnen. Dafür müssen Politik und Eliten die sozialen Realitäten der unterprivilegierten Milieus, deren Sicht auf die Probleme wie Zuwanderung oder EU-Osterweiterung thematisieren.

Zudem muss die akzeptierende Jugendarbeit wiederbelebt werden. Sie ist als Glatzenpflege auf Staatskosten in Verruf geraten. Aber eine aktive Jugendarbeit muss in die rechten Milieus hineingehen, dahin, wo es wehtut, und dort die jugendlichen Mitläufer von den neonazistischen Kadern trennen.

Passiert nichts, werden die neonazistischen Diskurse weiter an Einfluss gewinnen. NPD, DVU und Kameradschaften werden auch überregional zu politischen Akteuren, die in ein paar Jahren auch an die Tür des Bundestages klopfen. Spätestens, wenn die NPD nicht mehr 3.000 sondern 20.000 Anhänger auf die Beine bringt, wird die Zivilgesellschaft auch die symbolische Auseinandersetzung um die Mitte Berlins verlieren. CHRISTOPH SEILS