Zuschlagen mit naiven Parolen

Sind rechtsradikale Totschläger im Grunde unpolitische Gewalttäter? Das Gesprächsbuch „Blinde Gewalt“ von Andreas Marneros

Wenn rechtsextreme Mörder über ihre Überzeugungen sprechen, fällt es zuweilen schwer, sich zu beherrschen. Manchmal könnte man auflachen, wäre nicht klar: Das ist kein absurdes Theater, sondern furchtbare Realität. „Nennen Sie mir doch bitte eine Religion.“ – „Deutschland.“ – „Wissen Sie, was Christen sind?“ – „Engel?“ – „Wissen Sie, was Muslime sind?“ – „Das sind Ausländer.“ – „Wissen Sie, was eine Nation ist?“ – „Nein.“ – „Und sicherlich wissen Sie auch nicht, was ein Nationalist ist?“ – „Ich glaube, das hat etwas mit der Presse zu tun.“

Der Dialog ist einer von vielen, den der Gerichtsgutachter Andreas Marneros in den vergangenen Jahren mit rechtsextremen Gewalttätern geführt und protokolliert hat. Sein Gegenüber, ein junger Mann, hatte mit Freunden einen arbeitslosen Alkoholiker über zwei Tage hinweg zu Tode gequält – geschlagen, mit Springerstiefeln getreten, seine Haut aufgeschnitten, ihn in brühend heißes Badewasser gesetzt und Müll essen lassen. Im Hintergrund lief derweil laut Neonazi-Musik.

Wie soll man sich eine solche Tat erklären? Und: Kann man überhaupt von „rechtsextremer“ Gewalt sprechen, wenn die Täter ein Opfer ihrer Nationalität töten und offensichtlich keine Ahnung davon haben, was ideologisch einen Neonazi ausmachen könnte? Die Antwort des Psychiaters Marneros lautet: Rechtsextreme Mörder „sind gemeine Kriminelle, hasserfüllte, menschenverachtende Kriminelle; primitiv, eingeschränkt, geistig und sozial am Rande.“ Diese Antwort beinhaltet zugleich die zentralen Thesen seines jüngsten Buchs „Blinde Gewalt“.

Wirklich neu sind diese nicht. Denn schon vor drei Jahren nach der Veröffentlichung seines ersten Bands mit Psychogrammen rechtsextremer Gewalttäter („Hitlers Urenkel“) folgerte der Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Uni Halle, diese Menschen seien „ganz gewöhnliche kriminelle Gewalttäter“, ihre Verbrechen „keine politische Gewalt“. Der zweite Band unterscheidet sich vor allem durch die Auswahl der Fälle: In allen zehn analysierten Verbrechen wählten sich die Täter keine Ausländer, sondern Deutsche als Opfer.

Die wiedergegebenen Dialoge sprechen für sich: Die oftmals minderjährigen Rechtsradikalen töteten im Namen des Labels „rechtsextrem“, zu dem ihnen aber bestenfalls abgedroschene Parolen der Sorte „Deutschland den Deutschen“ einfallen. Sie können nicht Ansätze einer Ideologie wiedergeben, von Hintergrundwissen ganz zu schweigen. Diese Gesprächsprotokolle, ergänzt um biografische Schilderungen, geben verstörende Einblicke in das Milieu der rechtsextremen Schlägervorhut – ein Milieu von „Verlierern und Verlorenen“.

Wie schon im ersten Band belässt es Marneros aber nicht bei diesen Psychogrammen, sondern mixt dazwischen ein merkwürdiges Irgendwas aus gefühligen Appellen, persönlichen Briefwechseln mit KZ-Überlebenden und bildungshuberischen Ausflügen in die griechische Mythologie oder zu Oscar Wilde. Das ist enttäuschend, weil man den Platz bestens anders hätte füllen können. Zum einen setzt sich Marneros nicht mit der regionalen Herkunft der Täter auseinander. Damit hat seine Analyse an entscheidender Stelle einen blinden Fleck: Sie gibt keine Hinweise, inwiefern sich besondere soziale Muster bei rechtsextremen Gewalttätern aus Ostdeutschland beobachten lassen. Zum anderen geht Marneros mit keinem Wort auf andere Forschungsergebnisse ein, obwohl sich beispielsweise Wissenschaftler des Berliner Zentrums für Antisemitismusforschung seit geraumer Zeit mit ähnlichen Fällen befassen. Selbst da, wo der Autor wissenschaftliche Studien seiner Universität zitiert, bleibt er ärgerlich oberflächlich. Wer – wie Marneros – behauptet, „um die 90 Prozent“ der rechtsextremen Gewalttäter hätten keine fundierte Ideologie, sollte schon erwähnen, auf wie viele untersuchte Fälle sich diese Aussage bezieht.

Nach der Veröffentlichung von „Hitlers Urenkel“ sagte Marneros in einem Interview, er habe dieses Buch „auch aus persönlicher Wut“ geschrieben. Vermutlich leidet genau darunter auch der zweite Band. ASTRID GEISLER

Andreas Marneros: „Blinde Gewalt. Rechtsradikale Gewalttäter und ihre zufälligen Opfer“. Scherz, Frankfurt a. M. 2005, 224 Seiten, 19,90 Euro