Ein Tag hat 30 Biere

Esoterischer Stonerrock zum Frühstück, das Rockbrett am Abend: Ein Tag mit den Queens of the Stone Age in Berlin

Ein Tag mit den Queens of the Stone Age sieht so aus: Um zwei Uhr nachmittags geht man ins Silverwings, einem komischen Rockclub hinter dem Flughafen Tempelhof. Dort soll ab 15 Uhr eine MTV-Unplugged-Aufnahme mit der Band stattfinden – ganz exklusiv, nur 40 Gäste, während der Show nicht rauchen und nicht trinken, bitte schön!

MTV hat eine Hälfte des Clubraums mit güldenen Kerzenlüstern, Sitzkissen, wehenden Gazevorhängen und einem riesigen, mit geschmacklosen Fake-Flammen verzierten „Q“ dekoriert – das Ganze sieht aus wie eine Harem-B-Movie-Produktion. Ganz passend für die Queens, deren neue Platte „Lullabies to Paralyze“ ebenfalls etwas bewusst Geschmackloses hat: Nach der Trennung von Nick Olivieri, Gründungsmitglied der Band, wurde das anarchistisch-punkige Element irgendwie von einer rockigeren, bluesigeren, bärtigeren aber auch esoterischeren Stimmung ersetzt. Die neue Platte ist trotzdem wieder spitze. Doch man braucht eine Weile, um sich an sie zu gewöhnen.

Die erste Auskopplung „Little Sister“, ein klassisch-hartes, hypnotisches Rockbrett, über das Josh Homme wie immer zugleich gefühlvoll und kalt singt, ist eher untypisch für den Sound der CD: der Rest sind Rockmärchen, die teilweise ein merkwürdiges Pathos ausstrahlen. So pathetisch waren die Queens mit Nick Olivieri nie.

Bei der Unplugged-Session in Berlin spielen Josh Homme, Ex-Danzig-Drummer Joey Castillo, Alain Johannes, Troy van Leeuwen und die Ex-Eleven-Keyboarderin Natasha Shneider ihre Hand voll ausgewählter Songs in sanften, mit Akustikbass und kleinem Schlagzeugset untermalten Versionen. Dadurch gewinnen die Stücke – bei einigen merkt man erst durch das Leisehören, wie clever sie arrangiert, wie melodiös und zerbrechlich ihre Gesangslinien, wie genau und auf den Punkt ihre Breaks sind: Stonerrock fürs Frühstück mit Familie. Stoned scheint zu diesem Zeitpunkt allerdings noch niemand zu sein: Josh Homme, dessen 2002-Song „Feel good hit of the summer“ (eine Aufzählung seiner Lieblingsdrogen) angeblich ungefähr mit der Catering-Wunschliste der Band übereinstimmt, trinkt brav stilles Wasser, redet aber darüber, wie blau man gestern war: „Du hast 30 Bier getrunken, stimmt‘s?“, fragt er den Bassisten. „31“, murmelt der.

Was die Queens wohl zwischen 16.45 Uhr und 21 Uhr machen? Vielleicht zwischen dem „Silverwings“ und der gegenüber liegenden Konzerthalle hin- und herlaufen? Deutsche Biersorten ausprobieren? Abends in der bis auf die letzte Bierrille ausverkaufte Columbia-Halle hat Homme jedenfalls Flasche für Flasche in der Hand. Und seine Queens spielen perfekt, bis an die Schmerzgrenze laut, schnörkellos, es gibt kaum Ansagen. Man ist cool as fuck, das gilt für Josh Homme, der es – rothaarig, knasttätowiert und leicht übergewichtig – schafft, gleichzeitig der authentischste Bad Boy UND Pin-up für Frauen zu sein, ohnehin. Das Publikum, dieses Mal kaum dem Spielplatz entwachsene Pipimädchen und Skaterjungs mit Rucksäcken, die die Queens ihrer verstärkten MTV-Präsenz zu verdanken haben, ist begeistert und beeindruckt. Die jungen Jungen und Mädchen tanzen und quietschen, die alten, sich in eine Melange aus stiernackigen Vollglatzen und Mucker-T-Shirt-tragenden Langhaarigen aufteilenden Fans moshen und recken die Hardrockhandzeichen. „I missed you, really“, sagt Josh Homme zur Begrüßung – es mag stimmen, in Berlin ist die Hardrock- und Stonerrockbasis groß. Vielleicht sagt er das aber auch in jeder Stadt.

Sie spielen Songs aus allen vier ihrer grandiosen Alben, wollen gar nicht aufhören, und der Sound ist rund und überzeugend – im vorletzten Jahr war noch Screaming-Trees-Sänger Mark Lanegan mit auf Tour, aber der fehlt heute nicht.

Dass die Queens in neuer Besetzung aufpassen müssen, nicht zu sehr in einer Bluesrock-Roots-Richtung à la ZZ Top abzudriften (auf dem neuen Album ist deren Gitarrist Billy Gibbons zu Gast), also so zu werden wie ihre Vorband, Hommes Nebenprojekt „Eagles of Death Metal“, die zwar prima abgehen, aber viel weniger subtil und überhaupt kein Stück psychedelisch sind, merkt man live an diesem Abend nicht. Wenn das Ohrenklingeln am nächsten Tag leiser geworden ist, kann man ja mal anfangen, darüber nachzudenken. JENNI ZYLKA