Bereit zum Bund mit dem Teufel

Aus den Präsidentschaftswahlen im Iran wird wohl der alte Taktiker Rafsandschani als Sieger hervorgehen. Sollte er gewinnen, bleibt sein Spielraum dennoch begrenzt

Einen Kurswechsel in der Außenpolitik wird er sich angesichts der Machtblöcke nicht erlauben können

Die Wahlen im Iran sind eine Farce. Das Volk darf zwar wählen, aber nur jene Kandidaten, die der von Ultrakonservativen besetzte „Wächterrat“ zugelassen hat. Unter mehr als tausend Bewerbern für die am Freitag stattfindenden Präsidentschaftswahlen hat der Rat nur sechs ausgewählt, die alle dem konservativen Lager angehören. Das war selbst dem Revolutionsführer Ali Chamenei zu viel. Um die Peinlichkeit ein wenig zu mildern befahl er, zwei weitere Bewerber, darunter einen Kandidaten der Reformer, zu akzeptieren, die aber auch dem religiösen Lager angehören. Die überwiegende Mehrheit des Volkes, die außerhalb dieses Lagers steht, hat keinen eigenen Kandidaten. Damit kann von freien Wahlen keine Rede sein.

Die wichtigste Frage bei dieser Wahl ist die Höhe der Wahlbeteiligung. Die Führer des Gottesstaates wollen demonstrieren, dass sie die Mehrheit des Volkes hinter sich haben, die Opposition dagegen will zeigen, dass das Regime seine Legitimation längst verloren hat. Während die staatlich gelenkten Medien die Wahl als religiöse Pflicht darstellen und der Informationsminister die Wahlverweigerung als strafbar bezeichnet, haben zahlreiche Gruppen und bekannte Persönlichkeiten sowie die meisten Studentenorganisationen zum Boykott aufgerufen. Politische Beobachter schätzen, dass die Wahlbeteiligung bei dreißig bis fünfzig Prozent liegen wird.

Unter den acht Bewerbern, die nun akzeptiert wurden, gehören vier der radikalen Fraktion an. Dass diese Fraktion sich nicht auf einen Kandidaten einigen konnte, deutet auf den Zerfallsprozess, der sich seit geraumer Zeit bei den Radikalen bemerkbar macht. Die Zersplitterung verringert ihre Chance, nach der vor einem Jahr errungenen absoluten Mehrheit im Parlament, nun auch noch die Exekutive übernehmen zu können. Noch geringere Chancen werden dem Vertreter des Reformflügels, Mostafa Moin, zugerechnet. Moin wird die Wähler kaum davon überzeugen können, dass ihm gelingen könnte, was der bisherige Amtsinhaber, Mohammed Chatami, in seiner achtjährigen Regierungszeit nicht erreicht hat: einschneidende Reformen und die Gründung einer zivilen Gesellschaft.

Der Favorit unter den Kandidaten ist Ex-Staatspräsident Haschemi Rafsandschani. Es wird allgemein damit gerechnet, dass er wenn nicht im ersten, dann im zweiten Wahlgang den Sieg davontragen wird. Rafsandschani, der zu den mächtigsten und inzwischen wohl auch reichsten Männern des Gottesstaates gehört, ist politisch schwer einzuordnen. Der siebzigjährige, stets turbantragende Demagoge und Taktiker ist wie ein Fisch, der einem aus der Hand wegschlüpft: ein Pragmatiker, wenn es um den Erhalt seiner eigenen Macht und Interessen geht, ein fundamentalistischer Ideologe, wenn er seine Feinde bekämpft, und ein Reformer, wenn er seine Basis schwinden sieht oder um Wählerstimmen wirbt. Er ist wie kein anderer Politiker im Volk verhasst, weil man weiß, dass er korrupt ist und zahlreiche Hinrichtungen und Mordattentate gegen politische Widersacher zu verantworten hat. Dennoch werden viele ihn wählen, weil sie erstens meinen, dass er im Vergleich zu den Radikal-Islamisten das kleinere Übel sei und durch seine Wahl die Konzentration der Macht in der Hand der Islamisten verhindern werde. Zweitens hofft man, dass er als Pragmatiker außenpolitisch die Wogen glätten und als erfahrener Politiker und tüchtiger Geschäftsmann die Wirtschaft ankurbeln, die Inflation hemmen und Arbeitsplätze schaffen wird.

Außenpolitisch muss im Streit um das iranische Atomprogramm eine Lösung gefunden werden. Die Verhandlungen mit den drei EU-Staaten Deutschland, Frankreich, Großbritannien sind in eine Sackgasse geraten. Allen Beteiligten ist klar, dass es ohne ein Einlenken der USA, die bislang Sanktionen gegen Iran verlangt und mit militärischer Intervention gedroht haben, keinen Ausweg geben wird. Gerüchte besagen, dass Rafsandschani bereits Kontakte mit Washington geknüpft und Kompromissbereitschaft signalisiert hat. In einem Interview mit USA Today sagte er auf die Frage, ob er der einzige Politiker Irans sei, der die Konflikte mit den USA lösen könne: „Nicht der einzige, aber einer der wenigen.“ Auch aus dem Weißen Haus konnte man in den letzten Tagen versöhnlichere Töne vernehmen. Die USA gaben den Weg für Gespräche zur Aufnahme Irans in die Welthandelsorganisation (WTO) frei. Zudem erklärte Präsident George W. Bush, er könne sich einen Kompromiss mit dem Iran vorstellen, der dem Land eine teilweise Urananreicherung unterhalb der Atomwaffen-Fähigkeit zugestehe. Diese Aussage wurde allerdings wenig später von seinem Regierungssprecher Scott McCellan dementiert.

Neben dem Atomstreit verlangt der Westen vom Iran eine friedliche Politik im Nahen und Mittleren Osten. Iran solle die Unterstützung der militanten Gruppen in Palästina und Libanon einstellen, sich nicht mehr im Irak und in Afghanistan einmischen und am internationalen Kampf gegen Terrorismus teilnehmen.

Ob Rafsandschani zu so einem grundlegenden Kurswechsel in der Außenpolitik fähig sein wird, ist mehr als fraglich. Er verfügt zwar über eine große Hausmacht. Gleichzeitig stehen ihm aber mächtige Instanzen gegenüber, an denen bereits Chatami gescheitert ist: nicht nur das von Islamisten besetzte Parlament, sondern auch der Wächterrat, dessen Zustimmung jedes vom Parlament verabschiedete Gesetz bedarf. Hinzu kommen die mächtige Justiz und nicht zuletzt der mit nahezu unbegrenzter Macht ausgestattete Revolutionsführer Ali Chamenei, der über einen eigenen Geheimdienst verfügt und dem die gesamten Streitkräfte sowie die Organisation der Revolutionswächter unterstehen. Wie könnten diese halsstarrigen Islamisten den USA, die sie seit sechsundzwanzig Jahren als schlimmsten Feind und „großen Teufel“ betrachtet haben, die Hand reichen? Wie sollten sie bereit sein, im Nahen Osten den Frieden mit Israel, das sie als „kleinen Teufel“ bezeichnen, zu unterstützen und in der gesamten Region dem Terror eine Absage erteilen?

Rafsandschani gilt als das kleinere Übel. Vor allem aber soll er für wirtschaftlichen Aufschwung sorgen

Dieselben Hürden stehen im Bereich der Innenpolitik. Rafsandschani möchte, wie in seinem Programm angekündigt, die Tore des Landes für ausländisches Kapital öffnen, wichtige staatliche Unternehmen privatisieren, dem Privatkapital alle denkbaren Vergünstigungen zukommen lassen. Die Jugend soll gefördert, die Freiheit der Presse und der Meinungsäußerung gesichert, politische Aktivisten sollen zur Gründung freier Parteien ermuntert werden. Unter seiner Regierung soll die Privatsphäre gesichert und für den Staat unantastbar werden. Frauen sollen mehr Rechte bekommen, in der Wirtschaft und in der Politik mehr Verantwortung übernehmen und an wichtigsten Entscheidungen beteiligt werden.

Mögen manche glauben, dass sich Rafsandschani vom Saulus zum Paulus verwandelt hat. Aber wer glaubt, dass die radikalen Islamisten, die die eigentliche Macht im Iran besitzen, dies Programm mittragen würden, der ist ein Narr. BAHMAN NIRUMAND