Copyrights und McCarthyismus

Der Kampf um die Open-Source-Bewegung hat mittlerweiledie Bundeszentrale für politische Bildung erfasst

Es gibt bald kaum noch ein Event, das nicht von der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) gesponsert wird. Sie wurde vor einigen Jahren der „Reeducation“ Ostelbiens verpflichtet und bekam dafür einen fetten Etat und eine neue Leitung: den SPD-Theologen und Berliner Ex-Jugendsenator Thomas Krüger, ihm zur Seite wurden ein Bonner CDU-Mann sowie ein Leipziger Philosoph gestellt. Letzterer, Torsten Schilling mit Namen, engagierte sich zuvor in der Open-Source-Bewegung, zu der die bpb dann zwei Bücher – von Volker Grassmuck und Geert Lovink – publizierte, außerdem organisierte die in Berlin lebende US-Historikerin Anjana Shrivastava kürzlich eine bpb-Veranstaltung dazu – unter dem Titel „Pistolen und Eisenbahnen“.

Mit diesen europäischen Technologien, „die eine vorher nie gekannte Machtfülle in die Hände von Einzelnen legten“, so die Einladung, eroberten die Weißen einst den Wilden Westen, nun gehe es andersherum: „An der amerikanischen Westküste wurde eine neue elektronische Kultur geprägt. Mit E-Mail, Filesharing und Weblogs verfügt der Einzelne heute über Möglichkeiten, die früher den Mächtigen vorbehalten waren.“

Dazu hielt der Cyberspace-Jurist und Stanford-Professor Lawrence Lessig einen lichtbildgestützten Vortrag, der sogleich von einem zweiten Referenten, dem kalifornischen Historiker Peter Baldwin, kritisiert wurde. Lessig kam aus Brasilien, wo gerade Kommune für Kommune auf die Open-Source-Software von Linux umsteigt, eine ähnliche Entwicklung bahnt sich derzeit in Uganda, Namibia und Südafrika an.

Auch in Berlin war das Interesse an Lessigs Ausführungen groß. Der Referent meinte, vor fünf Jahren habe sich noch kaum jemand für sein Thema Copyrights interessiert. Es ginge ihm speziell darum, dass die Computertechnologie mit ihren ganzen Remix-Möglichkeiten zwar den Kulturschaffenden neue Freiheiten ermöglicht habe, die Copyright-Gesetze diese jedoch wieder einschränken – und deswegen geändert werden müssten, um nicht ähnlich wie zu Zeiten der Prohibition eine wachsende Zahl von Menschen zu kriminalisieren. Der „Krieg gegen die Piraten“ (Raubkopierer) sei „im Prinzip ein neuer McCarthyismus: ‚Wer das Urheberrecht in Frage stellt, ist ein Kommunist!‘, so drückte es neulich ein US-Politiker aus.“

Das es auch anders geht, beweise Japan: Neben den Manga-Comics gibt es dort „Dojinshis“ – leichte Variationen der Hauptmangas, die von zigtausenden angefertigt und getauscht werden. „Ihr Markt ist eigentlich illegal, diese außergewöhnliche Praxis hat aber eine außerordentliche Kreativität hervorgebracht.“ Die amerikanischen Gesetze und die Industrie setzen dagegen alles daran, die Benutzer auf bloße Konsumenten zu reduzieren: „Wir singen, erzählen, schreiben immer weniger als früher … Es geht mir dabei nicht um Ungehorsam, sondern um eine Reform der Gesetze, darum, die Kulturproduktion wieder dahin zu bringen, wo sie schon einmal war.“ So wurde kürzlich das Sampling in den USA als illegal klassifiziert: „Die meist schwarzen Musiker brauchen nun Copyrights für jedes Bit. Die Computeringenieure meinen zwar, das ist nicht machbar, aber die Rechtsanwälte sagen, die Sache sieht vielversprechend aus.“

Der zweite Referent, Peter Baldwin, schien diese Entwicklung sogar zu begrüßen, denn er sah das Problem weniger in der gesetzlichen Einschränkung der Kreativität als in der generellen Erosion des „Privaten“ – als des „Eigentums der Bürger“. Der Jurist Lawrence zeichne ein zu schwarzes Bild von der Entwicklung. „Nach Lage der Dinge muss die Kreativität eben ein paar Kurven nehmen.“

Dass die neue Freiheit des Internet eingeschränkt wird, stimme auch nicht, „denn es gibt immer mehr Weblogs“. Außerdem müsse man sich fragen, „ob die Kreativität wirklich davon abhängig ist, zitieren zu dürfen: Wenn ich umformulieren kann, brauche ich auch keine Copyright-Anwälte zu fürchten.“ Die Ausführungen von Peter Baldwin gipfelten in der Frage: „Was vermissen wir denn aufgrund der strengen Copyrights?“

Ein Berliner Experte im Publikum vermisste zum Beispiel ein nichtdenunzierendes Wort für „Raubkopierer“. Ein anderer Zuhörer erinnerte in dem Zusammenhang an einen SDS-Beschluss, der ausdrücklich die Raubdrucker ermutigte, sie jedoch gleichzeitig zur Mäßigung ihrer Gewinnabsichten verpflichtete. Mit dem „Kopiergroschen“ für Autoren habe man hier später eine quasigewerkschaftliche Lösung gefunden – bei den „Xerox-Usern“. Dieser „Freigeist“ walte auch heute noch im Europäischen Parlament, insofern es dort – inspiriert von der Open-Source-Bewegung und Linux – Bestrebungen gebe, „die Patentierbarkeit computerimplementierter Erfindungen“ einzuschränken. Schon warnen die Industrie und die FAZ vor Milliardenverlusten und Arbeitsplatzgefährdung. Logisch!

HELMUT HÖGE