Deutschkurse auf schwäbische Art

Integration ist machbar, Herr Nachbar. Aber wie? Die Bertelsmann-Stiftung und Otto Schily haben gestern die besten kommunalen Konzepte prämiert. Der Wettbewerb der Gemeinden beweist, dass alles Gerede vom Scheitern der multikulturellen Gesellschaft bloß ideologischer Zweckpessimismus ist

Von THOMAS HARTMANN

Das „Haus 49“ in Stuttgart-Nord ist ein multikultureller Mikrokosmos: Auf fünf Etagen vereint das Zentrum die unterschiedlichsten Initiativen unter seinem Dach, deren Angebote sich an alle Generationen richten. Sie reichen vom Fußballtraining des italienischen Migrantenvereins bis zur Hausaufgabenbetreuung für Einwandererkinder, und neben einer Disco für Jugendliche gibt es für gläubige Muslime einen eigenen Gebetsraum. Mehr Miteinander geht kaum.

„Das ‚Haus 49‘ ist das Gegenteil von einem Ghetto, es ist für alle offen. Viele Leute aus der Umgebung feiern hier sogar ihre privaten Feste“, schwärmt Roland Roth. Den Professor für Politikwissenschaft an der Hochschule Magdeburg-Stendal hat in Stuttgart aber auch die enge Vernetzung von Schulen mit Migranteninitiativen beeindruckt: „In einer Schule, die wir besucht haben, finden nachmittags Deutschkurse für Eltern statt. Solche Kurse gibt es auch anderswo. Aber weil sie hier in der Schule stattfinden, ist für die Betreuung der Kinder gesorgt.“

Roland Roth ist Mitglied der Jury, die im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung und des Innenministeriums nach überzeugenden kommunalen Integrationskonzepten gefahndet hat. 107 Kommunen und Landkreise haben an dem Wettbewerb mit dem Titel „Erfolgreiche Integration ist kein Zufall“ teilgenommen. Zunächst wählte die elfköpfige Jury unter Vorsitz der SPD-Abgeordneten Lale Akgün 24 Bewerber für die Endrunde aus. Im Frühjahr dieses Jahres besuchten die elf Experten dann 15 Kommunen, um sich ein näheres Bild zu machen. Gestern wurden, im Beisein von Innenminister Otto Schily, in Berlin die Preisträger prämiert: die Gemeinde Belm bei Osnabrück und der oberhessische Landkreis Hersfeld-Rotenburg, die gemeinsam in der Kategorie „ländlicher Raum“ den ersten Platz belegten; Solingen als „Stadt mittlerer Größe“ sowie Stuttgart als „Großstadt“.

Der Wettbewerb zeigt nicht nur, dass Integration möglich ist. Sondern auch, dass es vor allem eine Frage des politischen Willens ist und alles Gerede vom angeblichen Scheitern der multikulturellen Gesellschaft ideologischer Zweckpessimismus. Wenn etwas von der rot-grünen Ära bleiben wird, dann ist es sicher der Paradigmenwechsel in der deutschen Migrationspolitik. Inzwischen wird auch in immer mehr Kommunen anerkannt, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Integration ist nicht mehr, wie noch in den frühen Neunzigerjahren, die Aufgabe eines Häufleins versprengter Sozialarbeiter, das sich um Schadensbegrenzung bemüht. Viele Kommunen verstehen Integrationspolitik heute als eine Querschnittsaufgabe, die in allen Politikfeldern eine Rolle spielt. Positive Ansätze auf kommunaler Ebene haben sich, etwa in Frankfurt am Main oder Nürnberg, selbst über politische Regierungswechsel hinweg gehalten. Ein positives Omen für die nächste Bundestagswahl? Leider ist in der öffentlichen Debatte meist mehr von spektakulären Fällen die Rede, die von fehlgeschlagener Integration künden, als von den vielen kleinen Erfolgen auf diesem Feld.

„Die Fülle und Qualität der eingereichten Konzepte zeigt, wie viele Kommunen sich inzwischen durch ein aktives Engagement für die Integration auszeichnen“, resümiert Roland Roth. Die Bertelsmann-Stiftung unterstützt die Kommunen dabei schon seit vielen Jahren durch Modellprojekte und Wettbewerbe. Die Preisträger wurden nicht aufgrund gelungener Einzelprojekte ausgezeichnet, sondern weil sie ihre Integrationspolitik mit einer langfristigen Strategie verbinden. Die Jury traf ihre Entscheidung an Hand eines Kriterienkatalogs, der verschiedene Aspekte umfasste: Hat die Kommune eine ganzheitliche Strategie? Gibt es einen Ratsbeschluss? Gibt es Zielvorgaben und einen Maßnahmenkatalog, der überprüft wird und der für die Verwaltung verbindlich ist? Und wurde dies alles gemeinsam mit Migrantenvertretern entwickelt? Schließlich auch: Wo sind die neuen Ansätze, wo zeigen sich Fantasie und Innovation?

An Stuttgart lobte die Jury das „zukunftsorientierte Gesamtkonzept“ und dass die Stadt ihre Integrationspolitik auch als Standortfaktor begreift. Das Stuttgarter „Bündnis für Integration“ verstehe „die Herstellung von Chancengleichheit und community building als Aspekte von Integration“. An der Umsetzung des Konzepts werden Bürger, Vereine und Migrantenverbände als aktive Partner beteiligt, ein Dialog auf Augenhöhe.

Integrationspolitik als Standortfaktor spielt auch in Brandenburg eine Rolle. Der ostdeutschen Gemeinde Kyritz, die sich ebenfalls am Wettbewerb beteiligt hat, geht es darum, die lokale Ökonomie für Osteuropa zu öffnen. Der Ort, der in der Nähe der polnischen Grenze liegt, sieht das als wichtigste Zukunftsperspektive. Die Gemeinde fördert darum gezielt die Mehrsprachigkeit von Aussiedlern und ihren Kindern schon in den Kindergärten wie in den Schulen – weil sie in Zukunft auf deren Kompetenzen baut.

Zuletzt hat der Wettbewerb auch gezeigt, dass Integrationspolitik nicht allein eine Frage des Geldes ist: Nicht nur reiche Kommunen wie Stuttgart haben in diesem Bereich investiert, sondern auch Kommunen wie Essen, Solingen oder Belm, denen es ökonomisch wesentlich schlechter geht. Entscheidend ist der politische Wille. „Ganz entscheidend ist wohl die Frage, wie Integration verstanden wird“, resümiert Roland Roth. „Versteht man das Ganze als Basteln an sozialen Problemen, für die man notgedrungen Geld ausgeben muss, damit der soziale Zusammenhalt in der Gemeinde halbwegs gesichert werden kann? Oder glaubt man, dass sich erfolgreiche Integrationspolitik rechnet, weil sie Kosten für andere Formen der sozialen Intervention einspart?“ Das genau ist die Frage.

Mehr Informationen unter: www.bertelsmann-stiftung.de