Freiheit, die sie meinen

Chinas Internetzensur muss jeder Anbieter akzeptieren. Sie ist präzise und effektiv. Aber zu überlisten ist sie auch

AUS PEKING GEORG BLUME

Ist der freie Gebrauch des heimischen Internets für die chinesische Führung gefährlicher als die Hochrüstung Washingtons und alle westliche Kritik am Pekinger Regime? Vielleicht denkt das Pekinger Politbüro so. Westliche Politiker dürfen auf Chinabesuchen durchaus von Demokratie, Freiheit und Menschenrechten reden. Doch wehe dem, der die Begriffe Demokratie, Freiheit und Menschenrechte zur Kennzeichnung persönlicher Webseiten im chinesischen Internet verwendet: Ihm meldet der Computer, dass er einen verbotenen Begriff verwendet. Gestern musste der amerikanische Software-Konzern Microsoft einräumen, dass bei der Benutzung des seit Mai angebotenen Blog-Dienstes MSN Spaces in China die genannten Begriffe nicht verwendet werden dürfen. „Zusammen mit unseren von der Regierung finanzierten Geschäftpartnern in China werden bestimmte Begriffe ausgefiltert“, sagte Microsoft-Marketingdirektor Adam Sohn. Damit gab er nur kund, was in China bei allen kommerziellen Internetportalen seit Jahren lang erprobte Zensurpraxis ist: Alle dienen sie der chinesischen Internetpolizei für ihre Feldzüge gegen Regimekritiker und religiös Verfolgte und natürlich auch gegen Porno-Webseiten und illegale Lotterien.

„Chinas Filtersystem fürs Internet ist das am höchsten entwickelte System dieser Art in der Welt“, stellt eine im April erschienene Studie des Berkman Center for Internet and Society an der Harvard-Universität fest. Zahlreiche staatliche Behörden und tausende von öffentlichen und privaten Angestellten sind laut der Studie täglich damit beschäftigt, für eine „saubere Online-Umwelt“ zu sorgen. Kaum einen Teil mehr der virtuellen Welt erreicht die Internetpolizei heute nicht: Webseiten, Weblogs, Online-Diskussionsforen, virtuelle schwarze Bretter der Universitäten(BBS), und persönliche E-Mails – alles wird im Auftrag der KP gefiltert. Die Freiheit wird präzise und tagesaktuell eingeschränkt. Das zeigte sich erstmalig nach dem Tod des Ex-KP-Chefs Zhao Ziyang im Januar. Zhao wollte einst die gewaltsame Niederschlagung des Studentenprotests auf dem Tiananmenplatz im Frühjahr 1989 verhindern. Nach seinem Tod war es in China schwierig, seinen Namen im Internet zu finden. Alle Blogs und BBS-Nachrichten, die seinen Namen trugen, wurden von den Internetzensoren kurzerhand gelöscht. Das Regime fürchtete offenbar eine posthume Solidarisierungskampagne.

Ähnliches erlebte kürzlich die taiwanische Schriftstellerin Lung Yingtai, als ein Artikel von ihr, der die demokratische Verhältnisse auf Taiwan lobte, aufgrund des Engagement mutiger Zeitungsredakteure in der staatstreuen Pekinger Jugendzeitung erschien. Drei Tage später zählte man im chinesischen Internet drei Millionen Einzelreaktionen auf Lungs Artikel. Einen weiteren Tag später waren sie alle wieder verschwunden. Da hatte die Propagandaabteilung der Partei beschlossen, dass Lung zu weit gegangen war, und der Presse obendrein befohlen, in Zukunft alle Taiwan-Artikel freier Autoren den Zensurbehörden vorzulegen.

Taiwans und Tibets Streben nach Unabhängigkeit sind weitere Schlüsselthemen, auf die es die Internetzensoren abgesehen haben. Ebenso verfolgt wird alles, was die in China verbotene Falun-Gong-Sekte betrifft, was vom Dalai Lama, dem Tiananmen-Massaker und verbotenen Oppositionsparteien handelt. Wobei die Wissenschaftler der Harvard-Universität zwischen ihren Untersuchungen in 2002 und 2005 durchaus auch Lockerungen bemerkten: Allgemeine Begriffe wie Demokratie, Dissident oder Freiheit werden heute weniger oft blockiert als noch vor drei Jahren.

Längst bedient sich die chinesische Internetpolizei altbewährter Säuberungsmethoden der KP-Diktatur: Dazu zählt allen voran die Denunziation. Vergangenen Freitag feierte das „Chinesische Berichtszentrum für illegale und ungesunde Informationen“ im Beisein von Vizeinformationsminister Cai Mingzhao sein einjähriges Jubiläum. Stolz sprach der Minister vor den Vertretern von Microsoft und anderen Internetportalen vom Erfolg seiner Kampagne: 143.000 Beschwerden seien im vergangenen Jahr eingereicht worden, davon 67 Prozent wegen Pornografie im Internet und 4 Prozent wegen Sektenpropaganda. 1.800 Webseiten seien bereits geschlossen worden. „Ihr seid die wahren Internethelden, die das Internet zivilisieren, damit die Jugend in einer unverdorbenen Umwelt aufwächst“, heißt es in einem auf der Webseite des Zentrums veröffentlichen Leserbrief.

Doch der Kampf der Internethelden kennt auch Grenzen. „Jeder weiß doch, wie man die fraglichen Begriffe umgeht“, bemerkt ein dem Thema Internetzensur gegenüber unaufgeregter Xu Xing. Der berühmte Schriftsteller der 89er-Studentengeneration schreibt seit Jahren seine Blogs unbehelligt von den staatlichen Behörden. Das geht laut Xu Xing ganz einfach: Gibt man etwa die Schriftzeichen für die KP Chinas ein, sollte man zwischen jedem Zeichen die Leertaste drücken. Schon sei die Zensur machtlos! Dergleichen Tricks kenne jeder mit etwas Erfahrung. Natürlich, sagt Xu, liege auch im Zwang zur Anwendung solcher Mittel eine Einschränkung der Freiheit.

Gleichzeitig aber klingt bei Xu durch, welch unerhört subversives, vor Jahren noch kaum erträumbares Kommunikationsmittel das Internet im KP-Staat auch heute noch darstellt. So sieht es auch die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch in New York: „Trotz aller Restriktionen entwickelt sich das Internet zu einem machtvollen Werkzeug für die Mobilisierung sozialer Aktionen in China“, schreibt die Organisation in ihrem jüngsten Jahresbericht. 94 Millionen Internet- und 320 Millionen Mobilfunkbenutzer zählt China heute – für die Internetpolizei ein riesiges demokratisches Guerillaheer.