Der dunkle Ritter versucht’s erneut

Die gute Nachricht: „Batman Begins“ in der Regie von Christopher Nolan will endlich dahin, wo intelligentes Unterhaltungs-Kino, Spektakel, komplexe Charaktere und ein gutes Drehbuch einander nicht ausschließen. Ganz angekommen ist er dort nicht

von DIETMAR KAMMERER

Der Titel birgt ein Versprechen: Alles wieder auf „Los“, ein Neuanfang. Den hätte die „Batman“-Serie, die zuletzt in angestrengtem Klamauk zu versinken drohte, auch bitter nötig. Als Tim Burton den Fledermausmann 1989 und 1992 zum Leinwand-Leben erweckte, inszenierte er die Geschichten des Verbrecherjägers mit den spitzen Ohren in seinem typischen Mix aus Grand Guignol und Gruselmärchen für Erwachsene, mit jeder Menge Raum für die exzentrischen Auftritte der Gegenspieler des kostümierten Vigilanten. Joel Schumacher, der nach Burton für zwei weitere Verfilmungen im Regiestuhl Platz nahm, degradierte den dunklen Rächer dann zur Nebenfigur, zu einem melancholisch grübelnden Langweiler, der meist tatenlos danebenstand, während ein Panoptikum schriller Superschurken ein campy Set-Design nach dem anderen abfackelte. Keiner wollte diese Tragödie mehr mit ansehen. Die Serie schien am Ende.

Merkwürdige Ungleichzeitigkeit – denn während Batman auf der Leinwand zusehends infantilisierte, war er in der Comicwelt längst erwachsen geworden. Zeitgleich zu Burtons erstem Film (und zu Batmans fünfzigstem Geburtstag) schlug 1989 Frank Millers epochale vierbändige Serie „Die Rückkehr des dunklen Ritters“ einen ganz anderen Weg ein. Miller zeichnete Batman als in die Jahre gekommenen Zyniker, der schon lange nicht mehr nachts im Kostüm unterwegs war und es sich noch einmal beweisen wollte. Die Regierung war ein korrupter Haufen, Superman das Schoßhündchen eines debilen Präsidenten, der aussah wie ein hundertjähriger Ronald Reagan, und der Kampf gegen das Verbrechen von vornherein aussichtslos. Wie eine Verfilmung dieser Vorlage hätte aussehen können, kann man sich in etwa anhand von „Sin City“ (Kinostart: 11. August 2005) ausmalen, dessen Vorlage ebenfalls von Miller stammt: ein Hardboiled-Albtraum, in dem grundsätzlich Schluss mit lustig ist. Neben Miller waren David Mazzucchelli und Richard Lewis weitere Comic-Autoren, die bewiesen, dass sich mit der Batman-Figur tatsächlich auch ernsthafte Geschichten erzählen lassen.

Vor allem an deren „Batman: Year One“ knüpft Christopher Nolan mit „Batman Begins“ schon visuell viel deutlicher an als an die Filmserie. Der vorherrschende Farbton ist rostig-braun, die Straßen sind eng, verregnet und mit Müll verstopft. Irgendwo dampft es immer aus einem Gullydeckel. Eigentlich erwartet man, dass jeden Augenblick der „Blade Runner“ Rick Deckard ums Eck gehetzt kommt. Aber, und das ist schon mal die erste Überraschung des Films, das Urbane in seinem Verfallszustand bildet nicht die einzige Kulisse für die Geschichte. Der Film beginnt mit einer für diesen Mythos ungewohnten Ikonografie: ein chinesisches Gefängnis, dann atemberaubende Gletscherkulissen, ein zugefrorener Bergsee, ein buddhistisches Kloster. Wie sämtliche Helden des neueren Action-Kinos, muss auch der zukünftige Batman (Christian Bale) sich erst von sanft dreinblickenden Asiaten beibringen lassen, wie man stilgerecht seine Gegner zerlegt. Man ahnte ja schon immer, dass er diesen Trick mit den fledermausförmigen Wurfsternen direkt von Ninjas abgekupfert hat.

Hinter der „Liga der Schatten“ steckt freilich mehr als bloß eine Klostergemeinschaft mit Selbstfindungskursen, nämlich eine seit Jahrhunderten agierende, supergeheime Gesellschaft, die immer dann im Hintergrund die Fäden zieht, wenn es mal wieder eine dekadente Stadt auszuradieren gilt. Sagt deren Chefideologe Henri Ducard (Liam Neeson) ohne Anflug von Bescheidenheit: Rom, Karthago, der große Brand von London – waren alles wir. Und als Nächstes soll Gotham City drankommen. Zu viel Korruption, weg damit. Was am Ende zum unvermeidlichen Showdown zwischen Batman und seinem früheren Mentor führen wird. Zuvor jedoch muss die Wie-wird-einer-zu-Batman-Frage gelöst werden und der Mythos verlangt, dass für jedes seiner bekannten Versatzstücke eine Erklärung geliefert wird: wie die geheime „Bathöhle“, das Superhelden-Versteck unter dem Wayne-Anwesen, in dem die gesamte Ausrüstung lagert, anfangs aussah (ein feuchtes, mühselig beleuchtetes Loch); wo das unvermeidliche High-Tech-Arsenal samt „Batmobil“ herkommt; warum Batman zu Polizeichef Gordon (Gary Oldman) ein solch spezielles Verhältnis hat. Das kann, wie jedes Abhaken einer Liste, mitunter ermüdend sein.

Regisseur Nolan hat einschlägig Erfahrung mit der Darstellung obsessiver Charaktere und Grenzgängern zwischen Gut und Böse. Im Gedächtnisverlust-Thriller „Memento“ war die Hauptfigur auf Rachefeldzug für die getötete Frau ohne zu bemerken, dass sie die ganze Zeit Objekt einer perfiden Manipulation war. In „Insomnia“ brachte ein Polizist aus Versehen seinen Kollegen um und wird dafür vom einem Serienkiller erpresst. Nicht, dass Nolan die vertrackten Plotwendungen seiner früheren Thriller hätte umstandslos in die Geradlinigkeit des Blockbuster-Kinos übersetzen können. Aber um eine Selbstjustiz-Figur wie den maskierten Vigilanten in all ihrer Zwiespältigkeit darzustellen hätte er die besten Voraussetzungen gehabt – und mit Bale einen Darsteller, der als Schizo oder als psychopathischer Serienkiller immer die beste Figur gemacht hat. Leider schreckt „Batman Begins“ gerade davor zurück. Die Linie wird gleich zu Beginn gezogen: „Ich bin kein Henker“, sagt Wayne und verweigert der Schattenliga die Gefolgschaft. Die darf dann den Rest des Films als moralische Kontrastfolie dienen, als Grenzmarkierung, auf deren sicherer Seite Batman fortan bedenkenlos auf Verbrecherjagd gehen kann (und wenn er dabei die halbe Stadt in Trümmer legen muss.)

Die gute Nachricht lautet: Batman will endlich dahin, wo Spider-Man bereits angekommen ist, im intelligenten Unterhaltungskino, wo Spektakel, komplexe Charaktere und ein gutes Drehbuch einander nicht ausschließen. Ganz dort angekommen ist er noch nicht (und man kann sich nur schwer vorstellen, dass er uns jemals ähnlich sympathisch werden könnte wie der Netzschwinger, weder als Düsterling Batman noch als Multi-Milliardär Bruce Wayne). Aber der Anfang ist gemacht.

„Batman Begins“. Regie: Christopher Nolan. Mit Christian Bale, Liam Neeson, u. a. USA, 140 Min