Korruptionsaffäre hält Brasilien in Atem

Koalitionspartner von Präsident Inácio Lula wurden mit Millionenbeträgen gefügig gemacht, behauptet der Chef der Brasilianischen Arbeitspartei PTB. Den Präsidenten nimmt Roberto Jefferson aber in Schutz: Lula sei verraten worden

AUS PORTO ALLEGRE GERHARD DILGER

Die Straßen waren leer gefegt, die Börse hielt den Atem an. Als Roberto Jefferson, ein Verbündeter von Präsident Luiz Inácio Lula da Silva, vorgestern Nachmittag in Brasília sein Eingangsstatement vor der Ethikkommission des Abgeordnetenhauses vortrug, saßen Millionen BrasilianerInnen vor den Bildschirmen. Würde es Jefferson, dem Vorsitzenden der kleinen Brasilianischen Arbeitspartei PTB gelingen, eine bereits seit Wochen schwelende Korruptionsaffäre zur Regierungskrise zu machen?

Gut sechs Stunden später stand fest: Jefferson, der wegen Verhöhnung des Parlaments vor die Kommission zitiert worden war, ging als klarer Punktsieger aus dem Ring. In den Seilen hängen dagegen seine Kontrahenten der rechten Koalitionsparteien PL und PP sowie die Arbeiterpartei PT von Präsident Lula. Besonders angeschlagen sind José Dirceu, Lulas rechte Hand im Präsidentenpalast, und Parteichef José Genoino.

Doch handfeste Beweise für seine Anschuldigungen, die PT habe die Koalitionsparteien mit Millionenbeträgen gefügig gemacht, blieb Jefferson schuldig, den Staatschef nahm er sogar ausdrücklich in Schutz.

Der 52-Jährige aus dem Bundesstaat Rio, der seit 23 Jahren im Kongress sitzt, war bislang ein Paradebeispiel für jene brasilianischen Spitzenpolitiker, die immer mit dem Strom schwimmen. Anfang der Neunzigerjahre gehörte er zum „Stoßtrupp“ von Staatschef Fernando Collor de Melo, der wegen Korruption den Hut nehmen musste. Als PTB-Vorsitzender führte der Hobbytenor und begnadete Rhetoriker seine Partei in eine Allianz mit Fernando Henrique Cardoso (1995–2002) und bald darauf mit Inácio Lula.

José Dirceu, „Lulas Rasputin“, habe über regierungsnahe Medien eine Rufmordkampagne inszeniert und den Geheimdienst auf seine Parteifreunde gehetzt, begründete Jefferson, warum er jetzt auspackt: „Zé Dirceu, wenn du nicht schnell abhaust, wirst du einen Unschuldigen zum Angeklagten machen – Präsident Lula“, rief er theatralisch.

Jefferson gelang das Kunststück, sich als glaubwürdigen Insider zu inszenieren, der selbst keineswegs ein Unschuldslamm ist. Seit August 2003 sei in den Kongresskorridoren Brasílias von Schmiergeldern gemunkelt worden, mit denen der Regierungstreue einzelner bürgerlicher Abgeordneter nachgeholfen werden sollte.

Über sechs namentlich genannte Anführer der mit Präsident Lula verbündeten Liberalen Partei (PL) und der Progressiven Partei (PP) habe PT-Schatzmeister Delúbio Soares Zuschüsse von monatlich umgerechnet 10.000 Euro verteilen lassen.

Eine weitere Schlüsselfigur bei der Vergabe lukrativer Posten und unsauberer Regierungsausschreibungen sei PT-Generalsekretär Sílvio Pereira.

Das Bargeld stamme aus den Werbeaufträgen in Millionenhöhe, die die Agentur SMP&B von Staatsunternehmen erhalten habe, sagte der Abgeordnete. Es sei kofferweise nach Brasília geschleppt worden. 2004 will Jefferson mehrere Minister aufgefordert haben, sie sollten Lula informieren. Er selbst habe erst im Januar 2005 eine Audienz im Präsidentenpalast erhalten: „Es war wie ein Messerstich in den Rücken“, fasste er Lulas Reaktion zusammen. „Er brach in Tränen aus, stand auf, umarmte mich und ging.“

Daraufhin seien die Zahlungen eingestellt worden, so Jefferson. Jüngste Abstimmungsniederlagen der Regierung seien durch dieses „Abstinenzsyndrom“ zu erklären.

Lula schilderte er als „ehrlichen Mann des Volkes“, der von seinen Vertrauten hermetisch abgeschirmt und „verraten“ worden sei. „Das hier war erst der Auftakt“, schloss Jefferson – zu Recht: Wenig später bestätigte PP-Generalsekretär Benedito Domingos die Zahlungen.

Neu war Jeffersons Enthüllung eines Millionendeals, in den er selbst verwickelt sei: Vor den Kommunalwahlen 2004 habe ihm die PT-Spitze knapp 7 Millionen Euro in Aussicht gestellt, ihm sei aber nur die erste Rate von 1,3 Millionen bar übergeben worden. Für PT-Chef Genoino sind das lauter Lügen und Verleumdungen. Die Parteibasis hingegen ist fassungslos.

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