Wer ist eigentlich Pink?

Erstmals seit 1981 steht Pink Floyd in Originalbesetzung auf der Bühne – ein beglückendes LSD-Molekül für Fans, das sich aber nach ein paar Momenten wieder atomisieren muss

von ARNOLD LAYNE

Dürr und kühl wie die südliche Sahara bei Nacht waren die wenigen Worte, mit denen Bob Geldof die sehnsüchtigen Blütenträumen fast aller Pop-Fans zwischen 14 und 24 beendete. Dabei hatten alle Mitglieder der Gruppe eigens ihre Zerwürfnisse beigelegt, um beim „Live 8“-Benefiz-Konzertspektakel am 2. Juli in London für einen guten Zweck eine historische Reunion feiern zu können. Aber, ach, es hat nicht sollen sein: „Die Gruppe ist nicht politisch genug“, erklärte „Live 8“-Initiator Geldof und lud die Spice Girls wieder aus.

Statt magersüchtiger Tänzerinnen werden also übergewichtige alte Herren die Bühne im Hyde Park betreten, David Gilmour (59), Nick Mason (60), Richard Wright (61) – und Roger Waters (60). In ästhetischer Hinsicht wird dieser Anblick wenig erbaulich sein. Aber er allein dürfte ausreichen, um weltweit die nicht eben wenigen Musikfreunde in ein irritierend sentimentales Entzücken zu versetzen, die jemals in die Anziehungskraft des Planeten Pink Floyd geraten sind.

Wozu der Lärm? Als Eintagsfliege waren Pink Floyd dem psychedelischen Geist der Sechzigerjahre entschlüpft, noch im experimentellen Fahrwasser der Beatles. Nachdem Syd Barrett, damals Chef der Gruppe, sich durch ausdauernden Drogengebrauch in menschliches Gemüse verwandelt hatte, übernahm Bassist Roger Waters das Texten und Komponieren.

1972 textete und komponierte er das Album „The Dark Side Of The Moon“ – es erweiterte das Spektrum der Themen, die mit den Mitteln populären Musik überhaupt verhandelbar sind, auf ähnlich radikale Weise wie LSD das Bewusstsein.

Pink Floyd erfanden die ersten Light-Shows. Sie spielten im leeren Amphitheater von Pompeji nur für Gespenster. Sie spielten auf einer künstlichen Insel vor Venedig und brachten den Dogenpalast zum Bröseln. Sie erkannten als Erste, dass das Cover einer Platte als Kunstwerk mit der Musik korrespondieren kann. Sie experimentierten bei Konzerten nicht nur mit Lasern, sondern auch mit Duftkanonen. Und eroberten der Rockmusik erstmals ein Terrain, das über die Schulhöfe hinaus ging. Gewissen und Kopf der Gruppe war der in England als „Champagnersozialist“ geschmähte Roger Waters. Ende der Achtzigerjahre war Pink Floyd von einer so grotesken Größe, dass ihnen selbst die eigene Reflektion über die fortschreitende Entfremdung („The Wall“) nichts mehr nützte – der Punk kam und fegte alles weg, was in den Siebzigern stolz und mächtig und schwerfällig geworden war.

Seele und Rumpf der Gruppe war David Gilmour, der Waters verblasene Beiträge erst erdete – und damit erst erträglich, einträglich machte. Einträglich ging es mit Pink Floyd auch weiter, nachdem Waters 1985 ausgestiegen war und sein Rivale Gilmour übernahm. Mit zwei Alben und zwei Welttourneen wurde das Unternehmen „Pink Floyd Industries“ noch reicher und noch größer. Ohne den kritischen, zynischen und ätzenden Impuls eines Roger Waters aber waren Pink Floyd nurmehr die weltbeste Pink-Floyd-Coverband. Eine Illusion, mit der sich die Fans notgedrungen arrangierten – während die Musiker juristische Schlachten um Namensrechte und Tantiemen austrugen.

Am 2. Juli wird ganz sicher kein „Funken“ mehr überspringen zwischen den satten Neurotikern auf der Bühne. Aber für ein paar magische Momente wird das größte Schisma, die größte Kirchenspaltung der Rockmusik aufgehoben sein. Die ermüdeten Kontrahenten müssten dafür nicht einmal gemeinsam Musik machen, nur winken. Und vielleicht noch Syd Barrett in die Mitte nehmen.