Die Macht des Verbrauchers

Die Brent-Spar-Kampagne vor 10 Jahren war ein symbolischer Sieg für die Umweltpolitik. Damit sich nachhaltig etwas ändert, gilt es jetzt, die Stromkonzerne unter Druck zu setzen

Von Brent Spar lernen, heißt siegen lernen. Dazu gehört die Inszenierung spektakulärer Bilder

Theoretisch sind die Verbraucher mächtig: Sie entscheiden in Deutschland über die Hälfte des Bruttoinlandsprodukts und somit darüber, was es zu kaufen gibt. Nur: Leider denken sie fast nie umweltbewusst. Lediglich ein Prozent nutzen Ökostrom, drei Prozent essen Biolebensmittel, und der faire Handel dümpelt im Promillebereich. Kein Grund also für Konzerne, sich ernsthaft über einen Umsatzschwund durch sauberere Konkurrenten zu sorgen. Ließe sich das ändern?

Vor genau zehn Jahren ist es für kurze Zeit gelungen. Greenpeace hatte mit dem Hinweis auf die drohende Versenkung der Ölbohrplattform Brent Spar eine Verbraucher-Massenbewegung inszeniert. Seither gilt die Aktion als „Mutter aller Kampagnen“. Innerhalb weniger Wochen brach der Absatz an Shell-Tankstellen radikal ein; manche Filialen verkauften nur halb so viel Sprit wie zuvor. Am 20. Juni 1995 um 17.49 Uhr, gut sieben Wochen nachdem die ersten Bilder von Greenpeaclern im Schlauchboot um die Welt gegangen waren, gab Shell auf und verkündete: Die Brent Spar wird an Land entsorgt. Mit großformatigen Anzeigen tat der Konzern Abbitte bei seinen Kunden.

Dass der Boykott so durchschlagend werden konnte, hatte gute und schlechte Gründe, die näher zu betrachten für die Planung künftiger Aktionen lohnt.

Zum einen konnte Greenpeace auf eine weit verbreitete Empörung setzen. Insbesondere im Land der eifrigsten Müllsammler und Mülltrenner fühlte sich die große Masse und nicht nur eine Hand voll engagierter Gutmenschen angesprochen von dem Motto: „Wenn das jeder wollte! Ich darf meine alte Waschmaschine ja auch nicht in den Wald schmeißen.“

Zweiter Pluspunkt: Greenpeace fixierte sich bei der Aktion auf einen einzigen „bad guy“ – obwohl die Brent Spar nicht nur Shell, sondern auch Esso gehörte. Doch diese im Prinzip ungerechte Fokussierung auf einen Konzern erhöhte die Schlagkraft: Shells Absatz sackte deutlich ab.

Drittens: Das Mitmachen war einfach und kostete keinen Pfennig: Wer ein Auto besaß, steuerte einfach eine andere Tankstelle an. Dafür wurde er dann – Punkt vier – mit dem euphorischen Gefühl belohnt, Teil einer großen Bewegung zu sein, die allabendlich in der Tagesschau auftauchte. Scheinbar Seit an Seit kämpften die verwegenen Schlauchboot-Aktivisten und die Shell-Benzinverweigerer, das gemeinsame Ziel fest im Blick.

Fünfter Pluspunkt: Kein Fernsehsender wollte auf die gut inszenierten David-gegen-Goliath-Bilder auf hoher See in Kombination mit den verwaisten Shell-Zapfsäulen verzichten. So gewann der Boykott durch die Medienpräsenz jeden Tag neue Schwungkraft. Und schließlich: Das Ziel der Aktion war klar definiert und trat nach kurzer Zeit auch ein; Shell verzichtete auf die Versenkung der Ölplattform.

Was die Mobilisierung angeht, war die Brent-Spar-Kampagne ohne Zweifel eine Erfolgsgeschichte. Sie hat viele Konzerne geschockt. Dass Lidl vor ein paar Wochen sofort nach den ersten Protesten Haifischsteaks aus den Kühlregalen nahm, ist eine Spätfolge von Brent Spar: Auf Ein-Punkt-Kampagnen reagieren große Unternehmen oft sofort.

Weniger durchschlagend war die Brent-Spar-Kampagne aus umweltpolitischer Sicht. Zwar ist die An-Land-Entsorgung von Ölplattformen zu begrüßen. Doch die zentralen ökologischen Fragen im Zusammenhang mit Ölplattformen hatte die Kampagne ausgespart: Sie thematisierte nicht die Folgen des täglichen Betriebs, die aus Umweltsicht wesentlich relevanter sind als die Verschrottung. Und ebenso wenig rückte die Brent-Spar-Kampagne die eigentliche Ursache für die Existenz von Ölförderanlagen in den Blick: unsere täglichen Autofahrten.

Das zentrale umweltpolitische Manko der Brent-Spar-Kampagne liegt deshalb darin, dass die Konsumenten nach sieben Wochen wieder entschlummerten, weil sie keine echte Alternative hatten. Schließlich ist es aus ökologischer Sicht völlig egal, ob jemand Esso-, BP- oder Shell-Sprit tankt. Entscheidend für einen nachhaltigen Konsum ist die echte Alternative. Wenn es gelingen könnte, in einer Kampagne die Nachfrage nach sozial ökologisch besseren Produkten zu steigern und damit den Absatz der Großkonzerne zu reduzieren, wäre viel gewonnen. Nicht nur der Marktanteil sauberer Produkte würde wachsen. Auch die traditionellen Konzerne würden versuchen, verlorenes Terrain zurückzugewinnen – und dafür müssten sie selbst sich bewegen.

Verbraucherschützer aber wissen: Kampagnen für positive Handlungsalternativen sind viel schwerer als Kampagnen, bei denen es um eine Anklage geht. Obwohl sich bei Umfragen nach wie vor weit über 60 Prozent der Bundesbürger gegen AKW aussprechen, hat gerade einmal ein Prozent zu einem nachhaltigen Stromanbieter gewechselt. Dabei ist Ökostrom für die Konsumenten nicht einmal teurer. Doch der Verbraucher schläft und lässt die Konzerne seine Macht nicht spüren.

Auf Ein-Punkt-Kampagnen reagieren große Unternehmen oft sofort

Vielleicht weckt ihn ausgerechnet die drohende schwarz-gelbe Regierung? Merkel & Co planen eine Steilvorlage, um die im Prinzip idealen Voraussetzungen für einen nachhaltigen Konsumentenprotest scharf zu machen: Sie haben angekündigt, die Laufzeiten der Atommeiler zu verlängern. Eon, RWE und Vattenfall haben bereits Beifall geklatscht. Warum nicht einen von ihnen zum „bad guy“ für eine Kampagne küren? Und dann gilt: Von Brent Spar lernen heißt siegen lernen. Dazu gehört die Inszenierung spektakulärer Bilder von verwegenen Helden an Strommasten und auf Kraftwerksdächern, mit denen sich der wechselwillige Stromkunde identifizieren möchte.

Zugleich sollten überall Anträge der ökologischen Stromanbieter greifbar sein. Wer unterschreibt muss erleben können, dass da neben ihm noch viele andere Davids stehen. Und schließlich: Ein erstes Etappenziel der Kampagne muss innerhalb einer kurzen Frist erreichbar ist. Die ganze Republik sollte erleben: Die Eon-Manager haben verstanden.

Eine solche Kampagne ist für eine einzelne Nichtregierungsorganisation zu groß. Alternative Stromanbieter und Umweltverbände müssten ihre Kräfte bündeln. Greenpeace und Robin Wood wären für die telegenen Bilder zuständig, der BUND müsste seine breite regionale Verankerung ins Spiel bringen und der Ökostromanbieter Lichtblick die Stromwechsler sichtbar machen. Ob die jeweiligen Vorstände aber bereit wären, für einen gemeinsamen Erfolg ihre jeweilige „Marke“ hintanzustellen?

Viel Zeit bleibt jedenfalls nicht für die Chance, den Ökostrom doch noch aus der Nische ins Zentrum des Marktgeschehens zu bringen. Sollte Angela Merkel nämlich ans Ruder kommen, will sie nicht nur die Atomkraft wiederbeleben, sondern auch das Erneuerbare-Energien-Gesetz kippen. Mit dem rasanten Ausbau von Wind- und Solarkraft wäre dann ebenso Schluss wie mit den günstigen Verbraucherpreisen für Ökostrom – und ein nachhaltiger Konsumentenprotest würde im Land der geilen Geizhälse seine wichtigste Waffe verlieren.