„Ich sehe die Grünen in der Opposition – ohne Joschka Fischer“

Jung gegen Alt, Anti-Establishment gegen Politrentner, Revolutionärssohn gegen „Joschka-Fischer-Verschnitt“? Fakt ist: Marek Dutschke, 25, und Wolfgang Wieland, 57, streiten an diesem Wochenende in Berlin um ein grünes Bundestagsmandat

INTERVIEW MATTHIAS LOHRE
UND JAN FEDDERSEN

taz: Grüner Politrentner gegen jungen Wilden? Was qualifiziert Sie eigentlich zum grünen Bundestagskandidaten?

Wolfgang Wieland: Das Wort „Politrentner“ weise ich zurück. Ich mache zur Zeit ehrenamtliche Politik.

Ein Mann, der einen neuen Job braucht …

Wieland: … ich bin bekannt dafür, dass ich nun wirklich nicht an einem Sessel klebe. Aus dem Abgeordnetenhaus habe ich mich im vergangenen Jahr freiwillig verabschiedet, um in Brandenburg Wahlkampf für die Grünen zu machen.

Herr Dutschke, kandidieren Sie, um es mit einem Politikprofi wie Wolfgang Wieland aufzunehmen?

Marek Dutschke: Ich schätze die Lebensleistung von Wolfgang sehr. Er hat für die Bürgerrechte in Berlin vieles getan. Aber wir brauchen auch Wettbewerb bei einer Listenaufstellung.

Warum brauchen wir gerade Sie?

Dutschke: Wir müssen zeigen, dass die Grünen nicht nur das Projekt einer Generation sind. Dass wir nicht allein aus den sozialen Bewegungen der Sechziger und Siebziger stammen.

Sondern?

Dutschke: Nun ja, ich bin 25 Jahre alt, also in den Clintonjahren der Neunziger sozialisiert worden. Den Ost-West-Konflikt habe ich gerade noch so mitbekommen. Und Berlin habe ich zum ersten Mal 1990 bewusst wahrgenommen.

Herr Wieland, können Sie Marek Dutschke ernst nehmen? In seinem Alter waren Sie doch ganz anders.

Wieland: Ich habe mir ein Verbot vergleichender Werbung auferlegt.

zur Sache, bitte!

Wieland: Ich kann einem 25-Jährigen nicht vorwerfen, dass wir heute relativ wenige soziale Bewegungen haben. Jedenfalls ist es gut, dass die Grünenmitglieder Sonntag aus mehreren Kandidaten und mehreren Generationen auswählen können. Die Frage ist: Wem traut man am meisten zu, grüne Ideen im Bundestag durchzusetzen?

Und was macht Sie unentbehrlich, Herr Wieland?

Wieland: Wie Otto Graf Lambsdorff einmal sagte: Die Friedhöfe sind voll von Leuten, die sich für unentbehrlich hielten. Ich stehe für zwei Dinge: Inneres und Justiz. Aber auch Generalist. Jedenfalls hätten die Grünen auf vielen Feldern mehr kämpfen müssen.

Wo genau?

Wieland: Etwa beim Schutz älterer Arbeitnehmer und bei der Verhinderung von Diskriminierung von Langzeitarbeitslosen.

Hört sich das plausibel an, Herr Dutschke?

Dutschke: Kann ich unterschreiben. So richtig die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe ist, bei Hartz IV muss es trotzdem Korrekturen geben.

Klingt er nicht schon wie ein Realpolitiker, Herr Wieland?

Wieland: Er klingt vernünftig.

Viele Grüne haben Sie verprellt, Herr Dutschke – mit der Ankündigung ihrer Kandidatur per Mail.

Dutschke: Gerhard Schröder hat seine Partei auch nicht davon in Kenntnis gesetzt, dass er Neuwahlen will.

Schröder will raus. Sie wollen rein.

Dutschke: Manchmal muss man eine einmalige Chance ergreifen. Ich bin ja gerade erst von meinem Praktikum im Brüsseler EU-Parlament zurückgekommen. Als dann Fragen von Journalisten kamen und viele innerhalb der Grünen Jugend die Idee gut fanden, wusste ich: Ich muss mich entscheiden.

Soviel Spontitum wird bei Grünens nicht mehr sehr geschätzt.

Dutschke: Wolfgang Wieland und Werner Schulz sind ja seit vielen Jahren bekannt. Aber es gibt in der Partei auch eine große Offenheit für Neues.

Herr Wieland, wie schätzen Sie Ihre Wahlchancen ein?

Wieland: Wenn ich mir nicht gute Chancen ausrechnete, würde ich nicht antreten.

Sind Sie die Antwort auf die Erschöpfung der rot-grünen Jahre?

Wieland: Ich fühle mich nicht erschöpft, da kann ich Sie beruhigen. Wir wollen weiterentwickeln, was wir angefangen haben: Gerechte Verteilung der Arbeit und die Weiterentwicklung von Hartz IV hin zu einer sozialen Grundsicherung …

Die Grünen hatten sieben Jahre Zeit, um darauf Antworten zu finden.

Wieland: Es ist ja nicht so, als habe es auf grüner Seite nur Misserfolge gegeben. Schauen Sie sich die Bereiche Ökologie, Verbraucherschutz und Außenpolitik an. Oder bei den Themen Lebensweisen und den Familien.

Dutschke: Da stimme ich Wolfgang zu. Soziale Gerechtigkeit muss wieder mehr auf die Tagesordnung. Wir müssen sagen: Leute, wacht auf!

Herr Dutschke, Sie haben kaum politische Erfahrungen gesammelt. Keine Angst vor einem Mandat?

Dutschke: Nein, ich bin mir sicher, dass ich das schaffe. Außerdem bin ich ja nicht ganz unerfahren. Zehn Monate war ich Praktikant in der Grünenbundestagsfraktion, ich habe auch im EU-Parlament und im Planungsstab des Auswärtigen Amts hospitiert. Ich habe auch meine eigene Fachrichtung, nämlich internationale Beziehungen und Außenpolitik. Opposition ist nicht Mist, wie Herr Müntefering sagt. Wir brauchen dort alte Erfahrene und junge Quereinsteiger. Die Mischung macht’s.

Erkennen Sie sich in Marek Dutschkes Leidenschaft wieder, Herr Wieland?

Wieland: Ach, meine war größer, als ich 25 war, aber das waren auch ganz andere Zeiten.

Herr Dutschke, wie müssen die Grünen künftig sein?

Dutschke: Die Grünen müssen eine altersübergreifende Partei sein, kreativ und neu. Natürlich war die Entwicklung von Wolfgangs Generation spannend: von der Außerparlamentarischen Opposition hin zur Regierungskoalition. Aber es muss jetzt weitergehen.

Erzählen Sie uns, wohin.

Dutschke: Ein Leitgedanke ist, massive Investitionen in die Bildung zu tätigen, und eine nachhaltige Energie- und Sozialpolitik. Europa ist ein Traum, der sich nicht auflösen darf angesichts der aktuellen Probleme bei der Ratifizierung der EU-Verfassung.

Wie lässt sich Rudi Dutschkes revolutionärer Gestus mit dem Pragmatismus Ihrer Generation vereinbaren?

Dutschke: Mein Vater ist ein Vorbild für mich, aber nicht mein theoretisches Idol.

Herr Wieland, Ihr Gegenüber äußerte neulich, er habe Bedenken gegen Joschka Fischer als Spitzenkandidat für die Bundestagswahl. Sie auch?

Wieland: Bei aller Kritik, die man an Joschka haben kann und muss: Er ist unser Zugpferd. Wir wären mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn wir jetzt im Wahlkampf darüber diskutierten, ob seine Sonderrolle noch wünschenswert ist oder nicht.

Wo sehen Sie die Grünen in fünf Jahren, meine Herren?

Wieland: Mir ist überhaupt nicht bang um die Zukunft der Grünen. Angesichts einer sehr quirligen Grünen Jugend brauchen wir uns heute nicht mehr die Frage zu stellen: Sind die Grünen ein Ein-Generationen-Projekt?

Dutschke: Ich sehe die Grünen in absehbarer Zeit in der Opposition – und ohne Joschka Fischer. Es gibt einiges an ihm zu kritisieren. Bei der Bundestagswahl sollte eine Frau an seiner Seite stehen. Der Parteibasis hat er sich entfremdet und Parteitagsbeschlüsse missachtet. Aber das bedeutet nicht, dass die Grünen untergehen. Wolfgang hat Recht: Da ist talentierter Nachwuchs.

Und Sie sind ein Teil davon?

Dutschke: Ich werde dabei bleiben, auch in fünf Jahren. Es muss wieder mehr Dialog in der Partei geben. Und nicht nur Monologe des großen Mannes, der erklärt, wie Europa und die Welt funktionieren.

Ist das der Grund Ihres Veränderungsprogramms: Dass bei den Grünen überall erfahrene Menschen wie Wolfgang Wieland sitzen, die keine Fragen mehr stellen, weil sie auf alles eine Antwort geben können?

Dutschke: Dass Wolfgang ein begabter und rhetorisch begabter Politiker ist, darüber brauchen wir uns nicht zu streiten. Ich glaube, du wurdest eine Zeit lang auch der Joschka Fischer von Berlin genannt.

Wieland: „Joschka-Fischer-Verschnitt“ schrieben die Journalisten. Gehässigkeit billige ich immer zu, insbesondere der taz. Nur wehre ich mich dagegen, in die Ecke verstaubter Politiker gestellt zu werden. Bei meinen Redebeiträgen hat sich wahrlich noch niemand gelangweilt. Und eins kann ich Ihnen versichern: Ich habe noch viele Fragen, auf die ich keine Antworten weiß.