Auf dem Millionengrab

Es war Musik für die Verlierer der Modernisierung: Am Samstag geben die „bösen“ Böhsen Onkelz ihr Abschiedskonzert, sinnigerweise auf einer ostdeutschen Subventionsruine, dem Lausitzring

VON CLEMENS NIEDENTHAL

Zornig klingt der Schlussakkord in Moll. Dröhnt über eine Konsumlandschaft, die schon mit ihrem ersten Spatenstich zu einer Konkurslandschaft geworden war. Tief im Osten, in der Lausitz, auf dem Lausitzring geben die Böhsen Onkelz an diesem Wochenende ihr finales Abschiedskonzert. Nach einem Abschiedsalbum (bezeichnenderweise „Adios“ betitelt), einer Abschiedstournee, einem Abschiedstournee-Livealbum und einer Abschieds-DVD. Die Böhsen Onkelz sind so langsam gestorben wie ein dahinsiechender Komapatient. Aber trotzdem und immer noch so lebendig wie die Wiedergänger aus Bram Stokers „Dracula“.

Als Blutsauger auf den wiedervereinigten und bald globalisierten Verhältnissen ließen sich die Onkelz der Neunzigerjahre, die Onkelz, die bald schon für Nummer-eins-Alben gut waren, in der Tat ziemlich gut beschreiben. Doch die Band gab immer auch viel zurück. Trost, Zorn, einfache Antworten und schlichte Wahrheiten. Als Frankfurter Skinheadband mit infantilen, ärgerlichen Liedchen („Bomberpilot, ich bringe euch den Tod …“ oder das leidige „Türken raus …“), die die Journaille und eben auch die taz etwas später vielleicht sogar zu Recht zum großen Thema gemacht hatten, hatten Stephan Weidner, Pe Schorowsky, Kevin Russel und ein gewisser Gonzo 1980 angefangen.

Wende als Durchbruch

Zum eigenen großen Thema wurde für die Band aber erst das wiedervereinigte Deutschland. Besser gesagt: all die selbst gefühlten Modernisierungsverlierer in einem neu zu erschließenden Hörermarkt, die meinten, irgendwo da draußen in verwelkten Landschaften zwischen Siegen und Sassnitz die gleiche ungebremste Wut zu spüren.

Die Böhsen Onkelz waren das, was man so gerne ein Sprachrohr nennt. Und im Gegensatz zu der anderen kommerziell richtig erfolgreichen deutschsprachigen Rockband, den Ärzten, haben sie genau das als Rolle ihres Lebens inszeniert. „Wir sind onklifiziert voll und ganz, wir sind Teil einer Protestallianz“, hieß es in einem ihrer letzten Lieder.

Und Allianzen pflegte Stephan Weidner, der Chefarchitekt der Marke Onkelz, gut und gern. Zu Hause in Frankfurt war man guter Kumpel mit Sven Väth oder Moses Pelham. Und neuerdings zollten sie und die Westberliner Aggro-Clique mit ihrer Neuen Deutschen Welle sich gegenseitig Respekt. In erster Linie wohl, weil sich da zwei getroffen haben, die sich trefflich darauf verstehen, diffuse Befindlichkeiten zu erkennen und zu bedienen. Weil sie sich das fragile Kapital der Authentizität bis aufs äußerste dienstbar gemacht haben.

Vielleicht genau deshalb der Lausitzring, jene Metapher für die verwelkten Landschaften, den Stillstand Ost. Michael Schumacher und die Formel 1 wurden der Tagebauregion vollmundig versprochen. Nun dürfen Stephan Weidner und seine Böhsen Onkelz die Subventionsruine rocken. Ein wohl kalkulierter Schachzug von einer Band, die die Klaviatur des Symbolischen zeit ihrer Existenz virtuoser beherrscht hat als die Saiten ihrer elektrischen Gitarren.

Denn metaphorisch gesprochen ist das ganze auch eine Art Homecoming-Concert. Und es wird von den Fans genau so verstanden werden. Die 100.000 Tickets für das Open Air waren in nicht einmal drei Tagen ausverkauft, an der Internetbörse eBay wurden Eintrittskarten zuletzt mit bis zu 350 Euro gehandelt. Längst waren auch gefälschte Karten in Umlauf.

Onkelz und Enkelz

Das Festival selbst führt vor, an welchen gesellschaftlichen und popkulturellen Orten die Band nach einem Vierteljahrhundert angekommen ist. Der viertägige Event – los ging es bereits am Mittwoch, kurioserweise mit der Onkelz-Coverband Enkelz, fast so, als wolle man schon einmal die posthume Verwertungsmaschine ankurbeln – bietet so ziemlich alles, was sich die spätmoderne Eventkultur für solche Zusammenkünfte von ziemlich vielen Menschen ausgedacht hat. Bungee-Jumping und Karaoke-Wettbewerbe, einen Kinderhort und ein Autorennen.

Und eine Menge Bands, denen gemeinsam vor allem der wenig subtile Umgang mit ihrem Medium ist: Viel Düsteres ist dabei, die Spaßgesellschaftsrocker vom James Blast Orchester zum Beispiel, das sich inzwischen nur mehr J.B.O nennen darf.

Aber auch helles Licht: Lemmy Kilminster mit Motörhead, in seiner Verweigerung gegenüber jeglichem Stellvertretertum ja auch so etwas wie eine Antithese zu den Böhsen Onkelz, auch wenn beide die Liebe zu den provokanten Thesen und Symbolen teilen. Marky Ramone immerhin – und nun folgt ein Thema, das die einen als Fluch, andere als gerechte Strafe bezeichnen – hat seinen Auftritt in der Lausitz abgesagt. Auf Druck der US-amerikanischen Punkrock-Community; und weil sich die Böhsen Onkelz immer noch so beharrlich weigern, einen Ruf zu verlieren. „Ich bereue nichts“, so hat es Stephan Weidner gerade erst getextet, Sänger Kevin Russel erklärt via Videobotschaft: „Wir haben genug Platten rausgebracht, und insofern habt ihr genug Seelentrost für die nächsten Jahre.“

Die Musik ist also aus. Und ist immer noch da. Wobei das ja eine Weisheit der Fantastischen Vier ist. Die Fans der Rocker aber dürften sich von den Rappern einen anderen Slogan geliehen haben: „Wir blieben troy.“