Spuren des Terrors

Die Geschichte der Homosexuellen im NS-Staat wird noch kaum erforscht. Nun gibt es zwei neue Bücher über Täter und Opfer

VON JAN FEDDERSEN

Mit Homosexuellenforschung ist keine bürgerliche Laufbahn zu machen. Nur in sexualwissenschaftlichen Instituten ist dies immerhin zeitweise möglich. Die Grundlagenarbeiten und -recherchen müssten heterosexuelle AkademikerInnen machen, aber sie tun es fast nie. So ist beispielsweise die Geschichte des Holocaust weitgehend erforscht, weiß man inzwischen viel über die Geschichte der Juden oder Sinti und Roma. Will man etwas über die Opfer unter den männlichen und weiblichen Homosexuellen wissen, ist man auf die wenigen Arbeiten von freischaffenden WissenschaftlerInnen angewiesen.

An dieser Lage mag sich in den kommenden Jahren etwas ändern – noch steht rosinensucherischer Archivarbeit oft der Zwist zwischen homosexuellen Historikern selbst im Wege. Man streitet sich über Gender oder Foucault, überhaupt über so genannte Ansätze, und vernachlässigt oft das Naheliegende: die Suche nach dem Material, das nur geborgen werden muss.

Jan-Henrik Peters hat dies getan. Der Historiker, Jahrgang 1965, hat über Personalpolitik und Rationalisierung bei der Deutschen Reichsbahn zwischen 1924 und 1929 promoviert. Danach hat er sich mithilfe eines kargen Stipendiums in jene Akten vertieft, die über homosexuelle Männer in Mecklenburg-Vorpommern während der Nazizeit angelegt wurden. Der Autor hat seine Befunde in einem Buch zusammengefasst: „Verfolgt und vergessen“, rosa eingefärbt der Titel, grau die Fotos erkennungsdienstlicher Behandlung durch die Polizei. Peters Buch ist durchweg exzellent aufbereitet – und geschrieben.

Fast wie der Chronist Walter Kempowski in seinem „Echolot“ hat er nichts weiter getan, als die Akten zu sichten und aus ihnen die Geschichten der Opfer zu filtern. Die Opfer bleiben nicht namenlos. Akribisch erzählt der Autor ihr Leben nach. Sie waren Fahrradmechaniker, Schlosser, Feingarnhändler oder Landwirtschaftsgehilfen; vor allem bäuerlich-proletarische Schwule kamen unter den Nazis um, die bürgerlichen hatten es meist einfacher, sich durch Anpasserei dem Terror zu entziehen. Allen gemein war, dass sie um die Gefahr wussten, verpetzt, ausgetrickst und medizinisch schikaniert, gefoltert und getötet zu werden.

Zu Tränen rührend sind die Aussagen mancher Opfer, die sich nach all den Torturen in Untersuchungshaft und Gefängnis ihrem Schicksal fügen und resignieren: Niemand war mit ihnen solidarisch, von außen erhielten sie keine Hilfe, meist nicht einmal von ihren Familien. Aus heutiger Sicht ließe sich sagen: Nichts war einem Fest für Homosexuelle, einem Christopher Street Day ferner als die Furcht erregende Zeit des Nationalsozialismus.

Peters Arbeit verdient jede Anerkennung. Mehr noch: Weitere AutorInnen sollten die Recherchen auf die anderen fünfzehn Bundesländer ausdehnen – denn die mecklenburg-vorpommersche Geschichte der Homosexuellen im Dritten Reich ist bislang die einzige Regionalstudie dieser Art. Dann würde sich wahrscheinlich zeigen: Viele Vorurteile gegen Homosexuelle haben sich gehalten. Die Strafandrohung des Paragrafen 175 in seiner entgrenzten Nazifassung bestand ja bis 1969. Es drohte nur nicht der Rosa Winkel.

Der dänische Mediziner Carl Vaernet, 1893 als Bauernsohn in Jütland geboren, war nach seiner Ausbildung zum Arzt in Kopenhagen ein Anhänger nationalsozialistischer Weltsicht. Er schätzte die Reinheit, die Klarheit – und verband dies mit dem Glauben, der Mensch sei fehlerhaft, vor allem der unnordische, und könne umgemodelt werden. Brutale Konsequenz: Vaernet avancierte im KZ Buchenwald zum SS-Sturmbannführer.

Dort wurde er unter Kollegen berühmt für seine Entwicklung einer künstlichen Drüse, mit deren Hilfe homosexuellen Häftlingen die erotische Neigung zum eigenen Geschlecht ausgetrieben werden sollte. Vaernet selbst verstand sein Tun als humanitär, denn ein Homosexueller könne kein Interesse daran haben, so zu bleiben, wie er ist. Nur: Die meisten seiner so genannten Patienten starben bei den Experimenten, die er mit ihnen anstellte.

Die exzellente Übersetzung der Vaernet-Biografie aus dem Dänischen wurde von österreichischen Staatsfonds subventioniert – eine schöne, aber eigentlich selbstverständliche Geste. Kenntlich wird für die deutschsprachige Leserschaft, dass Vaernet wie viele seiner Medizinerkollegen keineswegs ein mörderischer Schlachter gewesen ist. Er war ein Wissenschaftler im Geiste einer damals für moralisch legitim gehaltenen Disziplin – der Verbesserung des Menschen entgegen seinem seelischen Profil und seinem körperlichen Schicksal. Besser müsste man sagen: Wissenschaft als Voraussetzung ihrer eigenen Entgrenzung.

Jan-Henrik Peters: „Verfolgt und vergessen. Homosexuelle in Mecklenburg und Vorpommern“. Ingo Koch Verlag, Rostock 2005. Infos: dr.jhp@freenet.de Hans Davidsen-Nielsen (Hg.): „Carl Vaernet. Der dänische SS-Arzt im KZ Buchenwald“. Aus dem Dänischen v. Kurt Krickler. Edition Regenbogen, Wien 2005. Infos: office@hosiwien.at