Das Kino schaut gnadenlos zurück

Die Filmbranche verschärft ihren Kampf gegen Raubkopierer. Das erste Opfer: die Privatsphäre der Kinogänger

„Mit solchen Polizeistaatsmethoden verschreckt man nur das Publikum“

BERLIN taz ■ Multiplexe sind heutzutage gefährliche Orte – für Betreiber und für Besucher. Den einen droht der Diebstahl der Filme, den anderen der Verlust der Privatsphäre: Wer sich im dunklen Kinosaal unbeobachtet wähnt und glaubt, er könne ungestört mit offenem Mund seine Helden anstarren oder gar herumknutschen, der irrt. Immer mehr Kinos werden durch Wachpersonal, mit Nachtsichtgeräten oder gar Kameras überwacht. Die Betreiber rechtfertigen das mit der wachsenden Zahl heimlicher Filmkopierer, die aufgespürt werden müssten.

Seit einiger Zeit schon finanzieren Filmverleiher und Kinobetreiber eine Kampagne, um Kopierer nicht nur zu finden, sondern auch zu kriminalisieren. Sie setzen auf bewusst drastische Formulierungen wie „Raubkopierer sind Verbrecher“. Und auf drastische Maßnahmen. Einige Kinobetreiber nutzen bereits Nachtsichtgeräte mit Restlichtverstärkern, um ihr Publikum auch im Dunkeln observieren zu können, andere schicken Angestellte als Aufpasser in die Säle. In Berlin wurde vor kurzem erstmals ein Saal bei einer Europapremiere während der gesamten Vorstellung gefilmt.

Und solche Überwachung findet immer häufiger nicht nur bei Voraufführungen, Presseveranstaltungen oder Premieren statt, sondern auch bei ganz normalen Vorstellungen. Die Unschuldsvermutung gilt offensichtlich nicht mehr, jeder Kinobesucher erscheint als potenzieller „Verbrecher“. Die Begründung der Industrie: Im Kino gezogene Kopien überschwemmten den Markt und schädigten die Hersteller.

Doch das sehen längst nicht alle Beteiligten so. Die Cinemaxx AG, eine der größten deutschen Multiplex-Ketten, zählte nach eigenen Angaben im vergangenen Jahr mehr als 20 Millionen Kinobesucher. Unter diesen habe man gerade mal zwei entdeckt, die versuchten, einen Film mitzuschneiden, sagte Unternehmenssprecher Arne Schmidt der taz. Zwei von 20 Millionen.

Organisiert wird die Raubkopierer-Jagd von der Zukunft Kino Marketing GmbH (ZKM). Diese Tochtergesellschaft des Hauptverbandes deutscher Filmtheater (HDF) soll eigentlich die Zahl der Kinobesucher erhöhen. Inzwischen scheint man jedoch auf bestem Wege, weitere Zuschauer zu vergraulen. So kündigte die ZKM unlängst an, gemeinsam mit Kinobetreibern 600 Nachtsichtgeräte anzuschaffen, um Filmvorführungen im ganzen Land „punktuell“ zu kontrollieren.

Auch Cinemaxx macht dabei mit. Nicht unbedingt, weil die Kinokette an den Erfolg der Aktion glaubt. Die Betreiber fürchten ganz einfach Klagen von Filmfirmen und Verleihern – ein erster Prozess der Constantin-Film gegen eine kleine Kinobetreiberin aus Landau läuft bereits, weil in deren Kino jemand mitgeschnitten hatte.

Dabei sieht Cinemaxx-Sprecher Schmidt das Problem eigentlich an anderer Stelle: Das Gros der Filmkopien verschwindet seiner Ansicht nach schon auf dem Weg ins Kino, „im Kopierwerk beispielsweise“. Diese Kopien stünden dann in sehr guter Qualität zur Verfügung. Doch dagegen könnten die Betreiber nichts tun. Kinos zu überwachen sei ihre einzige Möglichkeit, ihren guten Willen zu beweisen.

Ähnlich äußert man sich auch bei der Kinopolis-Gruppe im Rhein-Main-Gebiet. Es sei richtig, dass im Kino gezogene Kopien nur ein marginales Problem darstellten, sagte ein Mitarbeiter des Managements, der ungenannt bleiben wollte. Trotzdem setze man Nachtsichtgeräte ein – aus Angst, sonst von den Verleihern in Haftung genommen zu werden. Raubkopierer allerdings habe man damit noch nicht aufgespürt.

Bei einem der größten deutschen Filmproduzenten und Verleiher, der Constantin-Film, weist man die Gegenargumente der Kinobetreiber zurück: Filmkopierer seien „keine Schüler, die ihr Taschengeld aufbessern“, sagt Thomas Peter Friedl, Vorstand Verleih und Marketing der Constantin-Film AG: „Das passiert heute in den Strukturen organisierter Kriminalität.“ Die gehandelten Kopien seien zumeist „Sachen, die im Saal abgefilmt werden“. Die Verleihfirma hält Raubkopierer für ein „systemgefährdendes Problem“ – und die Warnung vor einem Angriff auf die Privatsphäre von Kinobesuchern für „absurd“.

Schutz von Rechten ist eine Frage der Verhältnismäßigkeit. Hans Werner Renneke zum Beispiel, Inhaber der Cineplex-Kinos, gewichtet die Privatsphäre seiner Kunden etwas anders: „So restriktive Maßnahmen lehne ich ab. Piraterie ist für uns ein Riesenproblem, mit solchen Polizeistaatsmethoden vorzugehen, schreckt unser Publikum allerdings mehr ab, als dass es der Sache dient.“ KAI BIERMANN