Ölpreis erfolgreich auf Rekordjagd

Weil die Lagerbestände aufgebraucht sind, führt jede potenzielle Einschränkung der Rohölförderung zu neuen Ängsten – und treibt den Ölpreis hoch. Gestern erreichte er ein neues Allzeithoch. Die Weltwirtschaft ist bislang allerdings wenig beeindruckt

VON BEATE WILLMS

Für Spekulanten ist klar: Die 60 wird womöglich noch diese Woche fallen: Gestern kostete US-Leichtöl zur Lieferung im Juli im asiatischen Handel 59,18 US-Dollar, 71 Cent mehr als beim letzten Rekord am Freitag. Und der Handel mit Terminkontrakten auf Rohöl ist emsig wie nie. Kein Wunder, dass gestern weltweit die Analystentelefone heiß liefen. Tenor: Die Rohstoffmärkte sind außer Rand und Band.

Aber nicht nur die Branchenexperten, auch die Autofahrer in Deutschland sind alarmiert. Letzte Woche kostete Super durchschnittlich 1,24 Euro. Gestern griff Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) die Rufe nach einem „Benzingipfel“ auf – wenn auch zurückhaltend: Er erklärte, der Ölpreis werde auf der Branchenkonferenz Automobil im Juli Thema sein. Ob es wieder mal um Subventionen für Spritverbraucher gehen soll, ließ er offen.

Rohöl hat sich seit Anfang des Jahres um 30 Prozent verteuert. Aufgrund der ungebremsten Nachfrage vor allem aus den USA, aus China und Indien sind die Lager leer geräumt. Jede denkbare Einschränkung der Förderung führt zu neuen Versorgungsängsten – ein fruchtbarer Boden für Spekulationen und Preisausschläge. Zudem naht die Sommerreisezeit, die für Spitzenpreise beim Treibstoff sorgt.

An den Gründen dafür, dass das Angebot an Öl knapp und teuer ist, hat sich seit dem Beginn der Hausse vor zwei Jahren nichts Wesentliches verändert: Politische Spannungen in den strategisch wichtigen Regionen führen zu Engpässen. Aktuell lauert die Gefahr in Nigeria, dem achtgrößten Förderland der Welt. Nach der Entführung von zwei deutschen und vier einheimischen Ölarbeitern aus dem Nigerdelta vergangene Woche und weil Anschläge auf ausländische Botschaften drohen, haben die USA, Großbritannien und Deutschland ihre diplomatischen Vertretungen geschlossen. Auch die Unsicherheit über die künftigen Verhältnisse im Iran nach der Präsidentenwahl hält den Ölpreis oben. Hinzu kommt das Wetter: Für Teile der USA wird eine Hurrikan-Saison erwartet. Schwere Stürme würden die Ölförderung im Golf von Mexiko wie letztes Jahr verhindern.

Die für den Ölmarkt wichtigsten Analystenhäuser Goldman Sachs und Morgan Stanley haben zwei Szenarien entworfen: Bei Goldman Sachs glaubt man, dass die Ölpreisentwicklung dauerhaft ein neues Niveau erreicht hat. Kurzzeitig denkbare Spitze: 105 US-Dollar. Bei Morgan Stanley hängt man dagegen der Theorie an, der Preis werde radikal „korrigiert“: „Der Markt könnte sich auf die spektakulärste Weise neu ordnen: indem er kollabiert“, sagte Analyst Andy Xie. Auch die Credit Suisse First Boston redet davon, dass die Finanzmärkte in eine neue Phase eingetreten seien, die sie „Energieunsicherheit“ nennt. Die Ölversorgung, heißt es, könne nur gesichert werden, wenn Öl so teuer bleibe, dass es sich lohne, in eine Erweiterung des Angebots zu investieren, sprich: weniger leicht ausbeutbare Ölreserven zu erschließen und Raffinerien zu bauen.

Allerdings zeigt sich die Weltwirtschaft bislang erstaunlich robust. Die USA sind dabei, ihr Wirtschaftswachstum bei 3,5 Prozent und mehr zu stabilisieren. Davon profitiert auch Exportweltmeister Deutschland, bei dem die Aufregung über die Ölpreise wegen der schwachen Binnenwirtschaft groß ist. Zumindest Eckhardt Wohlers vom Hamburger Wirtschaftsforschungsinstitut HWWA mahnt zur Ruhe: „Allein durch den Ölpreis“ sieht er derzeit „keinen Einbruch drohen“.