Volle Taschen, leere Mägen

Liberias UN-protegierte Übergangsregierung gilt als eine der korruptesten in der Geschichte des kriegszerstörten Landes. Einstige Rebellen und unfähige Politiker wollen sich vor den für Oktober geplanten Wahlen schnell ihren Lebensabend sichern

AUS MONROVIA HAKEEM JIMO

„Knocking out“ lautet das neueste Modewort in Liberia. Es heißt: Sich die Taschen mit Geld vollstopfen, bis die Lichter ausgehen. Oder bis man Sterne sieht. Um das Verhalten von Politikern und Funktionären ihres Landes zu beschreiben, haben sich Liberianer der Sprache des Boxkampfes bedient. Nur noch ein knappes halbes Jahr bleibt, bis eine gewählte Regierung die Staatsgeschäfte übernehmen soll. Und deshalb schlagen die Politiker kräftig zu. Denn der Großteil der derzeitigen Inhaber politischer Ämter wird nach den für Oktober geplanten Wahlen mit leeren Händen dastehen. „Wer jetzt nicht aussorgt, wird in einem halben Jahr keine Möglichkeit mehr dazu haben“, sagt Alfonsus Zeon, Herausgeber der kritischen Tageszeitung The Vanguard in der Hauptstadt Monrovia.

Seit Oktober 2003 leitet eine Übergangsregierung unter Interimspräsident Gyude Bryant die Staatsgeschäfte Liberias. Sie soll das Land nach einem Bürgerkrieg und dem Friedensvertrag vom August 2003 unter UN-Überwachung zu freien Wahlen führen. Der Friedensvertrag, der zum Rücktritt des vorherigen Herrschers Charles Taylor zugunsten einer Allparteienregierung führte, verteilte die politischen Posten unter anderem an Vertreter der Bürgerkriegsparteien des Landes. So sitzen jetzt Kader von Rebellenarmeen in Ministerien, die aufgrund ihrer zumeist beschränkten Ausbildung kaum Chancen auf Posten unter einer gewählten Regierung mehr haben werden. In den Lebensläufen der Exkämpfer stehen oft nur die Buchstabenkürzel ihrer Bürgerkriegspartei: Lurd, Model oder GOL. Das reichte bislang als Qualifikation. Ab Oktober nicht mehr.

Deshalb sehen sich Rebellenkarrieristen unter Druck, ihre Schäfchen ins Trockene zu bringen. Aber auch die meisten anderen Funktionäre sehen sich schweren Korruptionsvorwürfen gegenüber. „Präsident Gyude Bryant und die anderen Politiker gehen auf die gleiche Diebestour, die zuvor schon zu Frustration und letztlich Bürgerkrieg geführt hat“, sagt eine Frau auf der Straße. Geschäftsleute sprechen gar von der korruptesten Regierung aller Zeiten in Liberia.

Die Zeitung The Vanguard ist Vorreiterin im Aufdecken von Korruptionsfällen. Wöchentlich druckt sie Enthüllungsgeschichten: Spesenabrechnungen, fingierte Aufträge, kriminelle Verschwendung. Aber das hat keine juristischen Konsequenzen. In Liberia herrscht Straffreiheit. Die Arbeit einer Untersuchungskommission zu fiktiven Dienstreisen von Abgeordneten verlief im Sande. Auch eine in diesem Jahr aufgestellte Antikorruptionseinheit hat bislang keinen korrupten Funktionär überführt. „Diese Executive Task Force on Corruption kam nie über die Anfangszeremonie hinaus“, sagt Zeitungsherausgeber Zeon.

Liberias Staatseinnahmen bestehen neben ausländischen Hilfsgeldern hauptsächlich aus Zolleinkünften, Lizenzvergaben und Steuern. Immer wieder kommt es zu Streitereien und Widersprüchen zwischen Regierung, Ministerien und Behörden, wie viel Geld da ist. Auch Hilfsgelder kommen abhanden. So sollen rund zehn Millionen US-Dollar aus dem Ausland für die Instandsetzung der Wasserversorgung versickert sein.

Für die internationale Gemeinschaft ist das alles peinlich. Nach Bürgerkriegsende sagten Geber weltweit über 500 Millionen US-Dollar zum Wiederaufbau des komplett zerstörten Landes zu. Aber auf der jüngsten Folgekonferenz in Kopenhagen vor wenigen Wochen zeigte sich Ungeduld. Ein hoher UN-Mitarbeiter sprach von umfangreichen Korruptionsvorwürfen. Ein Großteil der zugesagten internationalen Hilfsgelder ist nicht ausbezahlt worden.

Der Einfluss der UNO auf die politischen Geschicke des Landes scheint begrenzt, obwohl die UN in Liberia ihre personell weltweit größte Friedensmission fahren – die Unmil mit über 15.000 Blauhelmen und tausenden zivilen Mitarbeiter. Die Unmil-Polizei kümmert sich um Korruptionsfälle. Aber wenn sie Ermittlungsergebnisse an die Justiz übergibt, verlaufen die Affären systematisch im Sande – aufgrund von Korruption.

Auch die UNO hat daran allerdings ihren Anteil. Der im August 2003 nach Nigeria vertriebene Expräsident und vom UN-Tribunal für Sierra Leone als Kriegsverbrecher gesuchte Charles Taylor galt als „Mister 15 Prozent“. Von allen größeren Geschäften im Land wollte er diesen Anteil haben. Wie viel Prozent der neue Präsident nimmt, ist unbekannt. Aber in der Geschäftswelt von Monrovia hat ein hoher UNO-Beamter seinen Namen weg: „Mister 10 Prozent“.