„Fragwürdig, fehlerhaft, ungenügend“

Nach einem Gerichtsbeschluss muss der Gentech-Konzern Monsanto eine firmeneigene Studie über Gefahren des Genmaises MON 863 veröffentlichen. Führende Wissenschaftler sehen durch sie schwere Schädigungen der Versuchstiere bestätigt

AUS BERLIN NICK REIMER

„Ich bin weder Mitglied noch Sympathisant von Greenpeace. Ich bin Wissenschaftler“, erklärte gestern Gilles-Éric Séralini, um dann Greenpeace doch ein großes Lob auszusprechen: „Endlich kann ich reden.“ Séralini ist einer der Gutachter, die bei der französischen Gentech-Kommission für die Zulassung neuer gentechnisch veränderter Pflanzen zuständig sind. Und als solcher kennt er den Inhalt der MON 863-Studie. Die ist Grundlage des Genehmigungsverfahrens für gentechnisch veränderten Mais: Morgen will der EU-Umweltministerrat über die europaweite Zulassung von MON 863 als Lebensmittel und Lebensmittelzusatz entscheiden.

Séralinis Dankbarkeit rührt aus einer Unterschrift: Er muste vor dem Studium erklären, sich an die Geheimhaltung der Daten zu halten. Greenpeace aber hatte beim Oberverwaltungsgericht Münster einen Eilbeschluss gegen den Gen-Konzern Monsanto erreicht, nach dem die Daten veröffentlich werden müssen.

„Die Kommission darf keinesfalls den Mais zulassen“, erklärte gestern Séralini in Berlin. Erstens sei die Datenlage der 1.300 Seiten starken Studie „völlig ungenügend, zweitens ist ihre Auswertung fehlerhaft“, so Seralini. Versuchsaufbau und Statistik seien ebenfalls ausgesprochen fragwürdig.

Auch der ungarische Spezialist Professor Árpád Pusztai ist „erleichtert, dass ich durch das Urteil meiner Schweigepflicht entbunden bin“. Ihn hatte die Bundesregierung als Sachverständigen im Zulassungsverfahren eingesetzt. „Mein Job war kein ideologischer, sondern ein wissenschaftlicher.“ Und wissenschaftlich gesehen sei das Vorgehen von Monsanto völlig inakzeptabel.

Nach Pusztais Angaben ging Monsanto so vor: Je 20 männliche und weibliche Ratten erhielten Futter, dem MON 863 beigemischt war – einmal 11 Prozent, einmal 33 Prozent. Nach 90 Tagen wurde ihr Gesundheitszustand mit je 20 männlichen und weiblichen Ratten verglichen, die dasselbe Futter ohne die gentechnische Veränderung gefressen hatten. „Ergebnis: Ratten, die mit MON 863 ernährt wurden, waren krank“, so Árpád Pusztai. Sie hätten sowohl ein verändertes Blutbild als auch signifikante Schädigungen der inneren Organe gezeigt. „Und jetzt kommt der Trick: Monsanto nahm sechs weitere, so genannte Referenzgruppen dazu. Eine davon bekam einen anderen Genmais als MON 863, fünf konventionellen Mais gefüttert“, erläutert Pusztai. Mehr Versuchstiere bedeutet aber eine höhere Datenmenge, was wiederum die kranken Tiere als statistische Fehler erscheinen lässt. Pusztai: „Diese sechs zusätzlichen Versuchsgruppen haben mit MON 863 aber überhaupt nichts zu tun.“

Monsanto erklärte der taz, die Vorwürfe seien haltlos. „Die Studie ist nach internationalen Standards erstellt. Den deutschen Zulassungsbehörden liegen alle Daten vor und sie haben diese als valide erklärt“, so Monsanto-Sprecher Andreas Thierfelder. Deshalb setze sich die Bundesrepublik ja morgen im Umweltministerrat dafür ein, dass MON 863 zugelassen werde.

„Der Umweltministerrat soll jetzt den Mut haben, gegen die Zulassung zu stimmen“, erklärte hingegen der grüne Vizepräsident des EU-Agrarausschusses Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf. Die Zulassung gentechnisch veränderter Nutzpflanzensorten sei ein gesellschaftlicher Vorgang, bei dem die Öffentlichkeit über „alle möglichen Auswirkungen des GVO auf die Gesundheit unterrichtet“ werden müsse. Solange die Greenpeace-Vermutungen nicht geprüft worden seien, könne daher nicht zugelassen werden. (Aktenzeichen: 8 B 450/05)

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